Umständlicher geht’s kaum: „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, PEGIDA. Von Tag zu Tag werden es aber mehr prominente Politiker, die mir raten, ich solle jene Nachbarinnen und Nachbarn ernst nehmen, die sich zu Tausenden in Dresden und anderswo hinter diesem neuen politischen Feldzeichen sammeln. Lauter saubere, treue Bürger seien das, nicht braun, noch nicht einmal bräunlich, nur erfüllt von ehrlicher Sorge – und nicht verantwortlich zu machen für ein paar Demo-Organisatoren, denen schon mal ein Hitlergruß unterläuft.
Also, vom Anhaltiner zum Sachsen: wo drückt euch denn der Schuh? Ich darf das so direkt fragen, denn beide Landschaften sind ja Teile Europas, für das erklärtermaßen euer Patriotenherz schlägt.
Da seid ihr natürlich ein gewaltiges Stück weiter als diese dämlichen UKIP-Briten, denen flott das Wörtchen „shit“ über die Lippen flutscht, wenn die Rede auf Europa kommt. Euer Patriotismus ist auch den Griechen und Italienern über, die kein gutes Haar an unserer deutschen Mutti lassen. Selbstverständlich freut ihr euch auch über die Niederlassungsfreiheit, die unsere orthodoxen Mitchristen aus Bulgarien in EU-Europa genießen; ganz zu schweigen von den seit Generationen zuverlässig katholischen rumänischen Roma.
Die gar nicht euro-patriotischen Interessenkonflikte und die zähen Vorurteile der Europäer übereinander bilden einen gruselig langen Rattenschwanz. Aber ihr seid die Avantgarde. Mit euch zu neuen Ufern! Right or wrong – my Europe! Für eure sensiblen Nasen verströmt dieses „Europa-über-Alles“ den wohligen Duft von Abendland.
Obwohl ihr das laut hinaus posaunt, bin ich irritiert. Denn in diesem Hauptwort unserer Geschichte fließen eine Menge historische Prozesse zusammen, vor allem aber ein gerütteltes Maß an Religion, konkret an christlicher Kirche, diesem fragilen, ziemlich beschmierten Gefäß, in dem die Botschaft Jesu von Nazareth durch die Generationen weiter gegeben worden ist. Diese Kirche ist ja wohl so ziemlich das letzte Geschütz, das ihr gegen die grüne Fahne des Propheten ins Feld führen wollt. Oder? Kirche in Sachsen: die gleicht ja wohl eher dem wackeren Dorf von Asterix, als einer dominanten gesellschaftlichen Befehlszentrale. Hattet ihr letzten Montag mehr oder weniger als drei Prozent bekennender Christen unter eurem Euro-Banner? Die Nachwirkungen, nein, seien wir fair, die Wirkungen der kleinen Minderheitskirchen unserer Tage begegnen euch doch eher da, wo euch der Zorneskamm anschwillt: in der Arbeit örtlicher Flüchtlings-Solidaritätsgruppen oder in Bischofs-Statements, die die unteilbaren Menschenrechte hoch halten.
Niemand, wirklich niemand darf zu einem religiösen Bekenntnis samt den daraus folgenden Taten und Unterlassungen genötigt werden. Aber es sollte bitte auch niemand mit falschen Papieren reisen. Christliches Abendland, das ist eine ziemlich komplizierte Herausforderung für Christinnen und Christen, die hier zu Hause sind. Aber kein Knüppel für religionsfreie Weltkinder im Kampf gegen unwillkommene Zuwanderer.
Na ja, und wenn man meint, dies einst kirchlich-christliche Abendland steckte uns trotz radikaler Kirchenschmelze immer noch in den Knochen – auch wenn Uroma die letzte war, die noch wusste, wo man in der Bibel die Psalmen bzw. die Jesusgeschichten findet – dann müssen wir uns schon darauf einigen, dass das aufklärerische Erbe des christlichen Glaubens eher in den persönlichen, unteilbaren universellen Menschenrechten zu finden ist, als in der geballten Faust gegen den Fremden.
Schließlich Islamisierung! Eine Islamisierung, vor der es mir graust, kann ich mir ausmalen, wenn ich an ein paar schlimme Vorhaben unter dem Banner „Christianisierung“ denke. Mission, egal welche, kann nur Liebe und Vorbild sein. Sie gedeiht nur im Reich der Freiheit. Aber ansonsten gilt unter uns Menschen nach wie vor die Regel, dass kein Werte-Vakuum auf die Dauer bestehen bleibt. Und die zweite, dass uns allen der Mund davon übergeht, wo von unser Herz voll ist.
Die maßgebliche Mehrheit unserer muslimischen Nachbarinnen und Nachbarn samt ihren Imanen, denkt gar nicht daran, religionslose Bundesbürger zu missionieren. Eigentlich erstaunlich, denn sie haben die Christen-Identität längst abgelegt, ganz offiziell oder auch nur tatsächlich. Eigentlich sind sie damit zur Missionierung freigegeben. Sie liegen auf dem Markt der Herzen herum, wie das Fallobst unter den Apfelbäumen an der Landstraße. Man muss sich nur bücken und es einsammeln. Aber so ticken die allermeisten Moscheegemeinden nicht. Die Gründe dafür sind benennbar und auch längst benannt. Auch morgen und übermorgen werden sich die vier Millionen muslimischer Nachbarinnen und Nachbarn nicht im Stil bibelfundierter Sekten zu Hausbesuchen aufmachen, um uns von den fünf Säulen des Islam zu überzeugen.
Genau so steht aber auch fest, dass sehr viele muslimische Landsleute sich kaum einen Reim auf ihre christlichen Nachbarinnen und Nachbarn machen können. Warum leiten die ihre Urteile und Entscheidungen so gut wie nie aus ihrer Religion her? Immerhin führen die mächtigsten politischen Parteien diese Religion unverändert im Namen. Für einheimische Muslime ist es nicht ganz einfach, das Christentum made in Germany zu verstehen und ernst zu nehmen.
Bleiben die draußen vor der Tür. Die, die verzweifelt nach Europa hinein wollen, hinein müssen. die muslimischen Flüchtlinge. Ihre anonymen Gesichter bilden die geschickt gepinselte Angstkulisse der Pegida-Aufläufe. Menschen, die vor religiös verbrämten Verbrechen fliehen müssen. Opfer, Trauernde, Traumatisierte, ähnlich den Opfern historischer christlicher Konfessionskriege. In ihren Koffern ist kein Platz für Strategiepapiere zur Islamisierung Europas.
Wieviel Platz der Islam und seine Menschen in Europa einnehmen werden, das entscheidet der nachbarliche Wettstreit der Herzen. Auf die Ziele Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung werden wir uns wohl Religionen und Weltanschauungen übergreifend einigen können. Und dann soll jeder zeigen, welche Flügel ihm sein Glaube verleiht.