Die Krisenstäbe in den Hauptstädten der Welt haben eine neue Standardaufgabe: die Echtheit der Bekennervideos von Terrororganisationen abzuschätzen. Eine noch so grauenvolles Fälschung kann ja immerhin bedeuten, dass ein in Todesgefahr schwebender Mensch vielleicht doch noch nicht ermordet worden ist.
Aber das Terrorregime „Islamischer Staat“ auf Teilen des Staatsgebietes von Syrien und des Irak scheint seinen furchtbaren Ruf mit lückenlosen echten Beweisen für seine hemmungslose Mordlust untermauern zu wollen. Eins ums andere mal beginnen die Schreckensmeldungen der Medien mit dem Hinweis, dass die betroffene Regierung das einschlägige Mordvideo als authentisch einstuft. Allein schon diese Einleitung ist Bestandteil des Spiels mit unseren Urängsten.
Was dann folgt, kreischt schrill in unseren Seelen: Morde mit Feuer und Schwert vor laufender Kamera. Die TV-Sender weigern sich natürlich, zu senden, was sie senden könnten. Sie belassen es bei Worten. Aber mit nur ein wenig Übung kann jeder Zeitgenosse rund um den Globus selbstständig auf Bildersuche gehen. Die magische Anziehungskraft der öffentlichen mittelalterlichen Hinrichtungsplätze, verlegt ins web-Zeitalter.
Was die mörderischen IS-Propagandisten tun, ist nicht neu. Nur neu inszeniert für die globale Bühne. Im Register ihrer Gräueltaten habe ich noch keine aufgelistet gefunden, die nicht schon zur Abschreckungs- und Einschüchterungspolitik vergangener religiöser und/oder weltlicher Herrschaftssysteme gehört hätte. Feuer, Schwert, Kreuzigung, jede denkbare Marter bis zum Tode, lebendig begraben, Sexualverbrechen, wirklich alles, was sich Folterknechte zur Zufriedenheit ihrer Herren ausdenken können. Und die Angst vor diesen Höllenqualen sollte immer zu derselben panischen Reaktion der Menschenherzen führen: mit denen, denen solche Strafen angedroht werden, will ich nichts, aber auch gar nichts zu tun haben.
Zur willkommenen Kreativität der Folterknechte gesellt sich dann noch ihr ganz individueller Sadismus. Man frage nur die letzten Überlebenden der deutschen Konzentrationslager.
Aber vielleicht sind die letzten Scheiterhaufen der christlichen Inquisition ja schon zu lange erloschen, als dass man angesichts der IS-Morde bereit wäre, sie sich noch in Erinnerung zu rufen.
Dann bleibt die andere erschreckende Gewissheit: so gut wie jedes Verbrechen, das der IS sich gern nachsagen lässt, wird Menschen auch anderen Orts angetan, in den aktuellen Kriegen und Bürgerkriegen dieser Tage. Durch Leichenberge Panik erzeugen, durch Massenvergewaltigungen Gemeinschaften das Rückgrat brechen; Foltermethoden trainieren, denen kein Opfer widerstehen kann, das sind aktuelle Taktiken und Unterrichtsfächer in teuflischen Fachschulen. Nur das Bekennervideo im Internet fehlt im Regelfall, weil die Logik dieser Kriege eine andere ist.
IS richtet diesen entsetzlich voyeuristischen Scheinwerfer auf einige ihrer Morde. Das soll so viele Seelen, wie nur möglich, gefügig machen. Genau deshalb werden die Reaktionen der Verhöhnten auch wohl unbarmherzig ausfallen.
Aber die zerstampften Menschenleben der stinknormalen Kriege und Bürgerkriege bleiben Teil des Blutes, das anklagend zum Himmel schreit – auch wenn diese Killing Fields für uns längst sensationslose Routine geworden sind.