Nein, wo Professoren gleich im Rudel herumlaufen, wie auf dieser Akademie-Tagung, da überfällt mich doch die alte Befangenheit des mit Ach und Krach gescheiterten Gymnasiasten. Und wenn die Damen und Herren sich dann noch drei Tage lang wechselseitig bestätigen, dass die Intellektuellen den Kutscher spielen müssten, damit der festgefahrene Karren unserer Gesellschaft noch aus Sumpf gezogen werden kann, dann fühle ich mich zwangsläufig fehl am Platze.
Da hat unsere Kirchengemeinde also den Falschen losgeschickt, um in Erfahrung zu bringen, wie wir in Zukunft besser dafür einstehen können, dass Gottes Wille geschieht, nicht nur im Himmel, sondern auch auf Erden; zu überprüfen an den biblischen Schlüsselworten Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.
Alle drei Herausforderungen, so haben uns Synoden, Denkschriften und Christenmenschen mit Charisma im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts immer und immer wieder unter die Nase gerieben, ließen sich nur anpacken, wenn wir einzeln und gemeinsam eine nachhaltige Art zu leben trainieren würden; solange, bis es sitzt. Bis uns der nachhaltige Umgang mit den Gaben der Schöpfung, den Kreisläufen des Lebens, dem Brotkorb der Menschheit, der Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte, der Generationengerechtigkeit und dem Lebensrecht unserer Mitgeschöpfe in Fleisch und Blut übergegangen sind. Nachhaltigkeit als Ja zum Leben, nicht nur zu meinem eigenen, sondern dem meiner Enkel und ihrer Zeitgenossen und sogar zu dem Leben der Bienen, die dies Jahr über unseren Biosprit-Rapsfeldern verhungern werden.
Nachhaltig zu leben entpuppt sich als die Erscheinungsform von „Zukunftsfähigkeit“, dem anderen politisch-spirituellen Lockruf, den wir seit mindestens einem Jahrzehnt immer wieder hören. Zukunftsfähigkeit, den Begriff verstehen wir auch in unserer durchschnittlichen Vorstadtgemeinde mit ihrem weitgehend Akademiker-freien Gemeinderat. Wer hemmungslos qualmt und schluckt, darf sich über verspielte Zukunftsperspektiven nicht beklagen. Und das lässt sich ja wohl auf komplexere Lebensgemeinschaften übertragen, auch auf die größten. Umgekehrt, ein Baum, der Luft, Boden, Wasserkreislauf und tierischen Untermietern nicht weniger zurückgibt, als er sich zum Leben genommen hat, der ist zukunftsfähig – nicht unsterblich, aber langlebig über Generationen hinweg.
Mit „nachhaltig“ und „Nachhaltigkeit“ haben wir uns schon schwerer getan. Die Worte werden in der Alltagssprache ja kaum aufgerufen und sind auch nicht selbst erklärend wie „Zukunftsfähigkeit“. Nachhaltig, da denke ich spontan an den Radrennfahrer bei der „Tour de France“, der zusehen muss, dass er genug Kalorien und Flüssigkeit für den Anstieg auf die Passhöhe konsumiert und unterwegs nicht wegen Mangelversorgung schlapp macht. Nachhaltig gleich durchhalten bei einer langen, strapaziösen, aber absehbaren Anstrengung. Wenn es um die Zukunft von Schöpfung und Menschheit geht, dann meint „nachhaltig“ aber offensichtlich etwas anderes. Bei der Sache bleiben, auf dem Weg bleiben, nicht einen Sommer lang, bis das Wunschgewicht erreicht ist, sondern auf jede absehbare Zukunft. Nicht einmal nur meine persönliche Zukunft, sondern die unserer Art, des homo sapiens auf dem Blauen Planeten. Da ist tatsächlich mal etwas alternativlos. Er ist und bleibt unsere Lebensgrundlage, wunderbar, wunderschön, aber von begrenzter Belastbarkeit, ohne wenn und aber. Deshalb hat Ex- und-Hopp als Lebensmotto ausgedient, auch für den eher stillen Verschwendungskonsum von uns Alten.
Aber jetzt fahre ich nach Hause und soll berichten, dass wir mit der Nachhaltigkeit doch nicht den Nagel auf Kopf treffen. Hinz und Kunz verkaufen uns ihr Zeugs bzw. ihre Dienstleistungen mittlerweile mit dem Hinweis auf deren Nachhaltigkeit. Das pustet den Konsum dann in neue Rekordhöhen und schenkt dem Wirtschaftsminister Glücksgefühle und uns allen den Rebound-Effekt. Bei uns in Sachsen-Anhalt haben wir zwar von der Sowjetunion nicht unbedingt Siegen aber dafür Russisch gelernt. Aber die englische Sache mit dem Rebound-Effekt lässt sich auch auf gut deutsch erklären: zwei neue energiesparende Flachbildschirm-Fernseher, je einen in Wohn- und Schlafzimmer, für einen ollen, – das ist er, der irre Rebound-Effekt.
Mit Nachhaltigkeit wird also Schindluder getrieben. Wir streichen den Begriff und ersetzen ihn durch mein Mitbringsel aus der Evangelischen Akademie. Wir bemühen uns in unserem Tun und Lassen künftig um „Suffizienz“. Alles klar?
Seien wir fair. Suffizienz ist nicht das erste Fremdwort, das uns hilft, uns im Leben und im Glauben zurecht zu finden. Okay? Aber die Damen und Herren Professoren favorisieren den lateinisch/englischen Begriff offenbar, weil sie uns Normalbürgern nicht so recht über den Weg trauen. Würden sie ihn übersetzen, wie mein Lexikon vorschlägt, mit ausreichend, genügend, ja sogar genügsam, bekämen wir Konsumbürger – so vermuten sie – einen Panikanfall. Deutschland, eine Ansammlung von Bettelmönchen und Zwangsvegetariern! Genügsamkeit? Jede Kontamination mit diesem unkontrollierbaren dialog-feindlichen Gedankengespenst soll anscheinend vermieden werden, solange es irgend geht.
Dabei ist die Sache mit der Genügsamkeit ja wirklich nicht lebensfremd. Uns allen kommt der kleine Einwurf „Danke, das genügt“ immer wieder über die Lippen; nicht nur, wenn die Kaffeetasse nur halb voll sein soll. Die sprachliche Variante „Ich komme zurecht“ hat wenig von einer Klage, wenn mancher meiner Mitrentner über seinen Lebensunterhalt spricht. „Das brauch ich nicht“ höre ich nicht nur von Älteren, wenn es um irgend einen letzten Schrei der Unterhaltungselektronik geht. Das Gefühl für das Maß, für genug, Genüge, muss trainiert werden. Aber es ist da und es ist ein gutes Gefühl. Der seelische Humus, in dem es gedeiht, ist Vertrauen.
„Es ist genug für für alle da“ hat die Aktion „Brot für die Welt“ jahrelang plakatiert. Das ist die stigmatisierte, lateinisch getarnte Genügsamkeit, die Suffizienz, ins Positive gewendet. Als rational begründete Hoffnung, freilich zugleich als Handlungsimpuls unter der Maßgabe „Niemand isst für sich allein“.Wobei klar sein muss, dass auch niemand für sich allein lernt, Urlaub macht, Müll produziert, Medizin beansprucht, Energie konsumiert, – eben alles, was in die Bilanz von genug bzw. zuviel eingeht.
Nein, ich glaube, an der viel zitierten Basis von Kirche und Gesellschaft fahren wir doch besser, wenn wir Deutsch reden, im buchstäblichen, wie im übertragenen Sinn des Wortes. Das, was suffizient, also genug ist, muss kommen. Aber das wird ja kein Martyrium, wenn wir es nicht dazu machen. Unter uns, in unseren Gemeinden und Nachbarschaften, auch in den grenzüberschreitenden Begegnungen, die uns jetzt seit 25 Jahren offen stehen, findet sich ein gerütteltes Maß an attraktiven zukunftsfähigen Lebenswegen, die einfach gelebt werden, von Menschen wie Du und ich. Leute, die soviel sind und soviel haben, dass es Gott und Menschen Freude macht, genug eben.