Sie sprechen mit einer Stimme, die Karikaturisten der Tageszeitungen in Europa. Auf deutsch, englisch, französisch, italienisch, schwedisch usw. sagen sie in diesen Tagen jedem, der es hören will, dass sie ihren künstlerischen und gesellschaftlichen Auftrag weiter erfüllen werden – trotz der Morde an den Kollegen vom französischen Satire-Magazin „Charlie Hebdo“. Auch angesichts des Restrisikos, das fanatisierte potentielle Täter überall in Europa darstellen. Jetzt erst recht!
Meinungs- und Pressefreiheit bedeutet nun mal, dass auch Muslime ertragen müssen, was die freie Kunst Christen und allen erdenklichen Macht-, Interessen-, und Überzeugungsgruppen seit Jahr und Tag zumutet: Spott, Kritik, ja, auch manchen Schlag unter die Gürtellinie. Umgangsregel: wem der Schuh passt, zieht in sich an. Wer seiner Sache sicher ist, denkt vielleicht nach, aber er darf dann auch den Staub von den Füßen schütteln und seines Weges gehen.
So wollen wir leben, – eingedenk der Zeitenwende seit den bösen Nazi-Zeiten, als auch Karikaturisten zu Handlangern des Verbrechens wurden und unentwegt den todeswürdigen Juden karikierten.
Vieles schwer Erträgliche habe ich ertragen müssen, was den hämischen, oft ahnungslosen Spott über Person und Botschaft Jesu angeht – wohl gemerkt, nicht über die Kirche. Diesbezüglich ist mein Sinn sehr viel selbstkritischer und mein Fell um Klassen dicker!
Andererseits, ihr freien Meisterinnen und Meister des Stiftes, verdanke ich euch eine Handvoll Bilder, die mir über die Jahre wirklich zu Wegweisern, Warnzeichen, Hoffnungsbildern geworden sind, jedes für sich gehaltvoller und haltbarer als ein dickes Buch. Bilder, die wahlweise Geist, Leib und Seele munter gemacht haben, mitunter alle zusammen.
Und jetzt lasst ihr das Volk von Europa wissen, dass ihr euch die Freiheit des Zeichenstiftes nicht nehmen lassen werdet, trotz unleugbarem Restrisiko für Leib und Leben. Gut so! Aber so gehört sich das auch für Frauen und Männer, die das Privileg der wahrhaft freien Berufe genießen. Freiheit ist ohne diese Portion Wagemut kaum zu haben, kaum glaubhaft in Anspruch zu nehmen…
… sagt einer, der als theologischer Facharbeiter seiner Kirche einen anderen mit der Freiheit des Gewissens und der Entscheidungen getränkten Beruf ausüben durfte. Man muss wohl selber Pastor, Pfarrer, Priester sein – je nach Kirche als Mann oder Frau oder exklusiv als Mann – um entgegen der Außensicht zu wissen, dass wir einen der freiesten Berufe ausüben dürfen, die unsere Gesellschaft kennt – vorausgesetzt wir geben diese Freiheit nicht töricht an der Pforte einer Kirchenbehörde ab.
Zu dem, was uns von Karikaturisten unterscheidet, gehört nicht nur, dass unserer sehr viel mehr sind. Auch die Anzahl derer, die Jahr für Jahr eines gewaltsamen Todes sterben, ist sehr viel größer. Da gibt es nicht nur hin und wieder einmal den seelisch kranken Menschen, der seinen Berater umbringt, bittere Unglücksfälle eben. Die Masse der umgebrachten Männer und Frauen im Pastorendienst sind unzweifelhaft Opfer absichtsvoller mörderischer Gewalt. In Kriegen und Bürgerkriegen, ob mit oder ohne eingebauten Religionenkonflikt; in Auseinandersetzungen um die Lebensgrundlagen der Armen, um Landrechte, Tagelöhne, um staatliche und private Willkür. Wer auch nur ein wenig in die globalen – in unseren Kreisen sagen wir, in die ökumenischen – Nachrichtenflüsse eingebunden ist, wird kaum hoffen, dass es auch nur einen Tag gibt, an dem nicht ein Berufschrist die Freiheit seines Dienstes mit dem Leben bezahlt. Nähmen wir die Gemeinschaft aller in den Kirchen beheimateter Zeitgenossen zusammen, wäre die Sache sowieso klar.
Aber im Moment vergleiche ich die Freien, die mit ihrer Arbeit auch ihren Lebensunterhalt bestreiten, also Karikaturisten und Pastoren. Und da hakt sich bei mir doch fest, was ich aus meiner eigenen Berufsgruppe nicht kenne:
diese wirklich berührende Intensität, mit der sich ein Meister der spitzen Feder nach dem anderen in dieses schreckliche Mordgeschehen hineinstellt; wie sie einer nach dem anderen mit verschiedenen Worten doch zu derselben Selbstverpflichtung finden. Auch künftig den freien kritischen Gedanken ins Bild zu setzen und die Gesellschaft damit herauszufordern.
Können wir Pastoren von den Karikaturisten lernen? Auch uns immer von neuem unseres Auftrages zu versichern angesichts der Todesnachrichten, die unsere Berufsgruppe betreffen? Die Ausrede liegt auf der Hand. In unserem Fall sind es einfach zu viele, noch dazu aus ziemlich unvergleichlichen Kirchen und Gesellschaften. Zu Lebzeiten wären wir womöglich mächtig aneinander geraten, hätten uns so oder so Verrat am Evangelium vorgeworfen. Aber auch Karikaturisten sehen unsere Zeit ja wohl nicht durch eine genormte Brille.
Reichen ein Oscar Romero und ein Martin Luther King nicht aus – na gut, wenn wir Deutschen noch Alfred Delp SJ und Dietrich Bonhoeffer dazu nehmen? Man kann angesichts der schieren Menge der Todesanzeigen doch nicht dauernd im Betroffenheits- und Selbstverpflichtungsmodus verharren. Oder?
Auf die Schnelle finde ich keine Antwort. Wo ist der Weg zwischen ehrlicher Hinwendung und Wurschtigkeit? Wahrscheinlich käme nur eine kleine bescheidene Gewohnheit in Frage. Der eine kurze Satz in Gottes Ohr, Tag für Tag, der ihm alle die anbefiehlt, die sich auf dasselbe Abenteuer eingelassen haben wie ich selber.