Fastenaktion 2013, 9. März
„Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen,“ früher oder später. Eine Behauptung, die das Leben schreibt, bekannt als „Murphy´s Gesetz“. Es gilt nicht nur bei Banalitäten des Alltagslebens. Bis zum Tag von Tschernobyl konnten Kernkraftwerke nicht explodieren. Sie konnten doch! Mittlerweile schon zweimal.
Können ein mehr oder weniger mittelloser Twen-Diktator und seine Clique einen großen Krieg herbeireden, obwohl sie ihn erkennbar gar nicht wollen? In den Machtzentren der Welt schütteln sie den Kopf über Kim Jong-Un, den Staatschef von Nordkorea. Er kündigt den USA eine einstweilen imaginäre nukleare Strafmaßnahme an. Mit Blick auf die koreanische Halbinsel setzt er amtliche Mitteilungen in die Welt, die klassisch-diplomatisch als unmittelbare Kriegsvorbereitung gelten.
Wir Mitmenschen fern vom Schuss hören nun seit zwei Tagen sachverständige Analysen und Kommentare, weshalb dieser ärgerliche Theaterdonner gewiss nicht zum großen Blutvergießen führen werde: Kim kann gar nicht, Kim will in Wirklichkeit auch nicht. Kim weiß nur keinen anderen Weg, um international im Geschäft zu bleiben, als die schlimmstmögliche Verletzung aller politischen Umgangsformen.
Stimmt, sehr wahrscheinlich. Aber wie viele Kriegskatastrophen sind hinterher schon beklagt worden mit der Versicherung „Das haben wir nicht gewollt“? Bei gewollten Scharmützeln an der innerkoreanischen Grenze würden dieselben Gesetze von Vergeltung, Rache, Missverständnis, Prestige gelten, die schon so oft zu den Brandbeschleunigern unkontrollierter Kriege gehört haben.
Was mich zusätzlich erschreckt: Kim Jong-Un wird noch auf dem Schoß seines 1994 gestorbenen Großvaters Kim Il-Sung gesessen haben. Opa, seines Zeichens „Ewiger Präsident“, hat 1950 den Süden Koreas so absichtsvoll mit Krieg überzogen, wie Hitler Polen. Anschließend ist der Krieg mehrfach durch beide Teilstaaten gestampft. Bis 1953 hat er so viele Menschen verschlungen, wie es proportional den Kriegstoten Deutschlands entspricht. Stalin, Mao und die US-Präsidenten Truman und Eisenhower hatten sich schließlich so in Korea verhakt, dass der globale Atomkrieg vor der Tür stand. Man muss vermuten, dass Opa dem Kleinen diese Horrorgeschichte als Heldengeschichte erzählt hat – umso schlimmer!
Besser begreifen, ernst nehmen kann ich politische Notstände, wenn sie sich mit Gesichtern und Namen verbinden: mit der freundlichen, zugleich selbstbewussten koreanischen Mitarbeiterin, die uns alle an ihre geliebten Kohlgerichte à la Korea heranführen wollte; an die kleine koreanische Christengemeinde, die ich in der Nachbarstadt kennengelernt habe: Krankenschwestern, ein paar Bergleute und Uni-Angestellte. Nachgegangen ist mir der Vortrag einer koreanischen Journalistin über das grauenvolle Schicksal der „Trostfrauen“. So nannten die japanischen Besatzer die koreanischen Bauernmädchen, die sie zu Zwangsprostituierten für ihre Soldaten machten.
Wir vergleichen Korea oft mit Deutschland. Wir meinen das wohl anteilnehmend, wegen der seit zwei Generationen andauernden Teilung von Land und Familien. Aber die deutsche Teilung war das Erbe eines verbrecherischen deutschen Staates. Koreas Menschen hatten 1945 eine böse Kolonialherrschaft hinter sich.
Was soll ich mir merken angesichts der irre klingenden Atomkriegsdrohung des Enkels? Murphy´s Gesetz gilt selbstverständlich auch in der Machtpolitik. Wir Regierten haben kein Recht und keinen Anlass, uns entspannt zurückzulehnen, etwa gemäß der Annahme: solange mein gesunder Menschenverstand Krieg für verrückt hält, werden die, die alle Informationen haben, ihn erst recht für verrückt halten und die Finger vom roten Knopf lassen.
Die Herrscher über Geld, Waffen, Wissen, Medien verfügen über kein anderes Reservoir an seelischen Kräften und moralischen Gehhilfen als jede und jeder von uns. Im Gegenteil, der lange Marsch an die Spitzen von Machtpyramiden selektiert oft die allzu Mitleidsfähigen aus. Jedes Geschichtsbuch liefert Beweise.
Die Schwarmintelligenz der vielen kleinen Leute auf Erden ist bei der Sorge um Frieden und Gerechtigkeit keineswegs entbehrlich. Vor allem wir, die wir das verbriefte Recht zur demokratischen Einmischung haben, müssen riskieren, uns einzumischen – lieber einmal zuviel, als gar nicht. Murphy´s Gesetz ist unberechenbar! Vielleicht ist der Fall Kim III nicht unbedingt unser ureigenster Fall. Aber wann wir dran sind, Einmischung zu riskieren, werden uns Vernunft und Gewissen schon sagen.