Klamottenfabriken: Trümmerhaufen als Gedenkstätte?

 

Der achtgeschossige Betonklotz, bzw. der Trümmerhaufen, der von ihm übrig geblieben ist, erinnert mich unwillkürlich an den Trümmerberg der Dresdner Frauenkirche zu Zeiten der DDR. Für jeden, der damals zu Besuch in die Stadt kam, war er ein Mahnmal für den Wahnsinn des Hitlerkrieges und dafür, wie furchtbar er am Ende uns Volksgenossen des Führers traf. Niemand konnte damals, Anfang der achtziger Jahre an Wiederaufbau denken. Der Trümmerhaufen schien für die Ewigkeit bestimmt.

 

Der Hochhaus-Trümmerhaufen dagegen wird rasch weggeräumt werden. Noch liegt er da, in einer Vorstadt der Bangladesh-Metropole Dhaka. Noch werden seine Trümmer durchsucht nach den Leichen von hunderten Textil-Arbeiterinnen, Verkäuferinnen, Handwerkern, einkaufenden Hausfrauen und neugierigen Kindern.

Stadtverwaltung und Investoren werden dafür sorgen, dass Räumbagger und LKWs sobald wie möglich anrücken. Der Volkszorn und die Trauer tausender Hinterbliebener sollen sich eines nicht zu fernen Tages verlaufen. Und mit ihm auch eine womöglich geschäftsschädigende Diskussion über Todesfallen und Hungerlöhne für die, die wir, die zahlungskräftigen Klamottenkäufer in diesem Teil der Welt, für uns arbeiten lassen.

 

Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, dass wir eine dieser Brand- und Bruchruinen im Welt-Textilgürtel nach einem dieser regelmäßigen Massenbegräbnisse einmal liegen lassen, als Mahnmal eines unmenschlichen Marktes; nicht als Ablage-Gelegenheit für Kränze oder location für Krokodilstränen-Reden. Wenn, dann als Treffpunkt für die, die sich früher ganz selbstverständlich kannten und sich heute überhaupt nicht mehr kennen: Käuferinnen, Käufer, Handwerkerinnen und Geschäftsleute der Bekleidungsgewerbes.

 

Der Schneider meines Konfirmationsanzuges war noch eine Respektsperson und ein Nachbar. Die Anproben hatten – würde man heute sagen – Event-Charakter. Meine Mutter kannte und würdigte die unterschiedlichen Kompetenzen der Gelegenheits-Schneiderinnen im Dorf. Meine Schwiegermutter hat in der Notzeit selbst mit Schneiderin-Geschick dazu verdient, ob in Naturalien oder bar auf die Hand, weiß meine Frau nicht mehr.

 

Das Schneiderhandwerk ist bekanntermaßen Jahrzehnt um Jahrzehnt mehr in die Ferne gerückt; zunächst aus der Nachbarschaft in deutsche Fabriken. Dann im letzten Viertel des 20.Jahrhunderts konsequent bis an die Enden der Erde, – von uns aus gesehen – immer den schreiensten Billigangeboten menschlicher Arbeitskraft hinterher. Und wer bei uns nicht gerade von Textilfabrik-Schließungen und zeitweiliger Arbeitslosigkeit betroffen war, konnte neben der billig-billig-Füllung seines Kühlschranks parallel dazu die billig-billig-Füllung seines Kleiderschranks in Angriff nehmen.

 

Bekanntlich sind wir neben dreifachem Fußball- und langjährigem Fernreise- auch Klamottenkauf-Weltmeister. Zu Zeiten meines Konfi-Anzugs hätte sich das wohl kein deutscher Kaufmann träumen lassen. Auftragen, umarbeiten, selbermachen war damals noch weit eher das Mittel der Wahl. Das hat unsere Jugend um keinen Deut trister gemacht und den Mädchen nichts von ihrem Reiz genommen.

 

Aber das ist Schnee von gestern. Aus der gelegentlichen Geringschätzung des Schneiderleins im Märchen ist längst unsere kollektive brutale Gleichgültigkeit gegenüber den halbsklavischen Arbeitsbedingungen bei vielen Zulieferern unserer Klamottenläden geworden: einmal rund um den Erdball von Mittelamerika bis nach Südasien. Ob´s da brennt bei zugesperrten Notausgängen; ob die Produktion in hingehauenen Beton-Klitschen weiter läuft, obwohl sich gefährliche Risse in der Struktur zeigen; – so wie diese Woche in Dhaka von Dienstag auf Mittwoch, bis zum Crash.

 

Ob es um weniger spektakuläre Verletzungen des Schutzes am Arbeitsplatz geht, die doch das Leben zur Hölle machen können – oder einfach nur um Hungerlöhne in des Wortes treffender Bedeutung: aus dem Auge, aus dem Sinn! Kein Wunder, wenn man bedenkt, wie wir Menschen Erfahrungen sortieren und gewichten, vor allem je nach unserer Nähe oder unserem Abstand zum Ort des Geschehens. Diesbezüglich herrscht in unserer Seele unverändert Steinzeit und nicht Globalisierung.

 

Und unsere großen Klamottendealer? Wenn´s zu arg kommt, schmeißen sie eben den einen oder anderen Lieferanten aus ihren Bestelllisten und beklagen im übrigen die Härte des Wettbewerbs.

 

Der Kunde will es billig, billig. Bei ihm müsst ihr euch beschweren, wenn die jungen Näh-Mütter von Dhaka nie auf einen grünen Zweig kommen, wenn man sie sogar in akut einsturzgefährdete Fabrikräume jagt.

 

Weil in solcher Verteidigungsrede nicht nur ein Körnchen Wahrheit steckt, habe ich allen Anlass, meinen ganz privaten und zugleich politischen Verhaltenskodex in Sachen Klamotten wieder einmal zu überprüfen?

 

Habe ich vor unseren Schneiderinnen zwischen Karachi und Dhaka mindestens soviel Respekt, wie vor dem „Tapferen Schneiderlein“ der Brüder Grimm, das sich wacker durchs Leben kämpft? Leiste ich als Bürger und Konsument meinen praktischen Beitrag in dem Bündnis für „Saubere Kleidung“ und Wirtschaftliche Menschenrechte? Wieviel Anstand und Gerechtigkeit stecken, Stück für Stück, in meinem eigenen Kleiderschrank?

 

Wahrscheinlich ist dieser Check sinnvoller, als die spontane Phantasie von einem Trümmerdenkmal für die regelmäßigen Todesopfer der Profit- und Schnäppchenschlachten der Klamottenbranche. Für diese Idee liegen einfach zu viele Tote unter dem Betonplatten.

 

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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