Fastenaktion 2013, 13. März
Wahrscheinlich war das eine Premiere: bis zum rituellen Kommando „Extra Omnes/ Alle raus“ hat die ganze Fernseh-Menschheit beim Konklave-Auftakt in Rom zusehen dürfen, ich auch. Dem protestantischen Christenmenschen geht dabei natürlich ein wenig wie dem Vereinsmitglied von Borussia Dortmund, das in der Kabine von Bayern München Mäuschen spielen darf. Gleiches Spiel, eindrucksvolles Team! Aber treffen tun sich unsere Leute erst in der Nationalmannschaft.
Trotzdem haben sich während dieses langen Nachmittags Bilder eingeprägt, die, nachdem ich darüber geschlafen habe, auf mich nicht nur römisch-katholisch wirken. Vor allem in der eindrucksvollen Reihe der Kardinäle, die eine dreiviertel Stunde lang Mann für Mann zum Konklave-Schwur an die aufgeschlagene Bibel traten, habe ich Wichtiges von meinem Leben in der Kirche wieder entdeckt.
Die ärgerliche Banalität zuerst: wir sind immer noch eine Frauenkirche, die von Männern regiert wird. Katholiken und Orthodoxe haben ihre Lesart des neutestamentlichen Befundes in ihrer Kirchenvision und ihrem Kirchenrecht verankert. Sie haben sie zum Ausdruck des göttlichen Willens erhoben. In den Kirchen reformatorischer Tradition stehen die seelsorgerlichen und leitenden Ämter heute den Frauen offen. Aber ich weiß aus Nah-Erfahrungen, wie oft den Frauen in unserer Kirche die ganz ordinären Vorbehalte gegen leitende Frauen begegnen, die auch in jeder Industrie AG wirken. Bis hin zum Schwangerschaftsrisiko. Mit eigenen Ohren habe ich vor Ort das kabarettreife Argument gehört: Frauenordination? Muss wohl sein. Aber die Leute in unserer Gemeinde wollen einen richtigen Pfarrer!
Was würde Jesus dazu sagen? Ich halte für möglich, dass er Römer und Wittenberger zu sich riefe, um ihnen noch einmal seine Frauengeschichten zu erzählen: Geschichten von den Frauen, die ihm erst die Augen geöffnet haben für seinen Auftrag und seinen Weg. Kein menschheits-fähiger Jesus ohne die Begegnung mit der Samaritanischen Frau am Brunnen!
Die Brüder Kardinäle konnten gar nicht anders, als an das schiefe Bild der eurozentristischen Weltkirche des Weißen Mannes zu erinnern. Ja, die braunen und schwarzen Gesichter waren da in der Warteschlange vor der Schwurbibel. Aber proportional repräsentierten sie nicht entfernt die Wachstumsregionen der Christenheit. In den Annalen des Kollegiums ist der erste Afrikaner gerade einmal im Jahr 1960 vermerkt. Und die Kommentatoren erinnerten gestern Nachmittag an die Ernennungspolitik des Ruhestandspapstes. Die habe zuletzt die Dominanz der weißen Brüder eher gestärkt als relativiert.
Aber das sind die Probleme von Bayern München. Das protestantische Jesus-Team lebt mit sehr ähnlichen Wachstums- und Schrumpfungserfahrungen. Doch bei uns verteilt niemand Kardinalshüte. Wie sollte das auch funktionieren bei mehreren hundert Mitgliedskirchen im Weltrat der Kirchen, jede mit ihrer eigenen Biographie und guten Gründen für ihre Selbstständigkeit. Die eigene Leitung, einschließlich der Auswahl der Führungskräfte, ist seit etwa einem halben Jahrhundert Standard.
Weiße Dominanz zeigt sich kaum noch optisch. Aber sie ist eine reale Bedrohung durch den innerchristlichen Nord-Süd-Geldtransfer. Christliche Hilfswerke und die Kirchen selbst betreiben ihn. Sie antworten damit selbstverständlich auf Bitten, oft regelrechte Hilferufe der Kirchen in den Armutsregionen der Erde. Gebende und aufs Nehmen Angewiesene stehen in einem hoch riskanten Abhängigkeitsverhältnis. Die menschliche Seele ist so: von Spenden leben müssen, macht nicht dankbar, sondern aggressiv. Wer sich aber fundamentalistischer Systemkritik anschließt und laut ruft: „Schluss damit. Keine christlich motivierte Entwicklungshilfe!“, mag kurzfristig Beifall ernten. Mit einem „Okay“ von Jesus wird er kaum rechnen können. Der bat seine Jünger ja nicht, den Hungrigen am See Genezareth großzügig ihre fünf Brote und zwei Fische zu spendieren. Er bat darum, sie ihm selbst zu geben, damit Gottes Kraft das Brot vermehren könne. Und für den Geldtransfer hat er uns mit der Regel von der rechten und der linken Hand ausgestattet. Sie eröffnet die Chance, die Versuchung zu vergessen, die in jedem Akt des Teilens liegt.
Eine schlimme protestantische Versuchung, die jedem katholischen Kardinal aus Lateinamerika und Afrika geläufig ist, wurde gestern Nachmittag x-mal zitiert, zu Recht. Schlimm wird es, wenn weißes Geld und unkritisches weißes Sendungsbewusstsein sich zusammentun. Gute Nachricht für die Armen und die Gefangenen? Längst nicht alle sendungsbewussten und erfolgreichen Neukirchen können von uns begrüßt werden als Geschwister im guten Kampf für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung.
Ratlos macht mich der elementare Kontrast, den die Konklave-„Location“ Vatikan ins Bild setzt. Der Alltag des Fischers Simon, den wir Petrus nennen, das völlig auf Gastfreundschaft angewiesene Leben des Jesus von Nazareth: was davon ist noch bewahrt im Erscheinungsbild, in der Attitude, in den Ansprüchen der Kirchen unserer Zeit, aller Kirchen? Es ist nur ein kleiner Trost, dass sich wenigstens Muslime und Buddhisten dieselbe Frage stellen müssen, wenn sie Person und Botschaft ihrer Stifter mit dem repräsentativen Äußeren ihrer Religionen in der Gegenwart vergleichen.
Das Mindeste: der Vatikan oder – ein paar Nummern kleiner – 500 Jahre-Reformations-Fete sind allenfalls abgeleitetes Kirchenleben. Das was zählt, spielt sich unverändert überall dort ab, wo stinknormale Christenmenschen Haus oder Hütte ihrer Mitmenschen betreten – im Herzen oder auf den Lippen den Gruß Jesu „Friede sei mit euch!“