Das Kreuz soll runter von der Wand! Der das fordert ist Nebenkläger-Anwalt im Münchener NSU-Prozess, und, so unterstelle ich, Muslim. Muslime waren auch die meisten Opfer der NSU-Fanatiker. Ihre Familien gehören zur muslimischen Weltgemeinschaft.
Der Anwalt hat niemand Geringeren als das Verfassungsgericht auf seiner Seite. Das hat klar gestellt: deutsche Gerichte haben in Religionsdingen Neutralität zu wahren. Deutsche Gerichtsräumlichkeiten sind denn auch weitgehend Kreuz-frei. Aber hier geht es nicht um Deutschland, hier geht es um Bayern! Da hat das Rest-Christentum eben immer noch etwas Folkloristisches. Weniger im Alltag, wenn Reich und Arm, Einheimisch und Fremd, Spezi und Außenseiter aufeinander prallen. Da dürfte Bayern guter deutscher Durchschnitt sein, was Kälte und Lieblosigkeit betrifft. Aber zum Aufhübschen der Bavaria sind Christentums-Restposten durchaus brauchbar, auch Kreuze an Wegrändern, in Gerichten und Schulklassen.
Aber muss sich dieser Anwalt wirklich so haben? Als Profi wird er wissen, dass das symbolische Stück Holz weder den Gang des Verfahrens noch irgendwann das Urteil beeinflussen wird. Ist er wirklich scharf auf einen Shitstorm, der ihm die mit drakonischen Strafen bewehrte Intoleranz des Staatsislam gegen andere Religionen um die Ohren haut, der eine ganze Liste von Staaten kennzeichnet? Das Risiko, wegen der falschen Religion zu Schaden zu kommen, ist aktuell im Zeichen des Halbmondes ja wohl heftiger als im Zeichen des Kreuzes.
Das Gegenargument liegt auf der Hand. Was Ayatollahs oder Muftis in direktem Durchgriff oder hinter den Kulissen ihren Nationen verordnen, ist eine Sache. Die Bürgerfreiheit nicht nur vor Königsthronen, sondern auch vor Altären ist eine andere. Auch Christenmenschen haben allen Grund, das Menschenrecht der Religionsfreiheit hoch zu halten, ihrer eigenen und der ihrer Mitmenschen, die das Leben mit anderen Augen sehen. Schließlich halten wir uns an einen, der in Todesgefahr darauf bestand: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ Ein Jesus, der das Machtgebilde eines christlichen Gottesstaates gefordert hätte? Für mich unvorstellbar! Dies ist ein Land, in dem weder im Namen eines Staatsgottes noch im Namen eines Herrschers Recht gesprochen wird, sondern im Namen des Volkes – nicht zu verwechseln mit dem Volkszorn!
Zurück zu meinem muslimischen Landsmann in der Anwaltsrobe. Ich will nicht wissen, ob er freitags in die Moschee geht oder ob er die Fastenregeln des Ramadan einhält. Er tut´s oder tut´s nicht, als einer unter Millionen. Seine einheimischen Glaubensgeschwister fallen statistisch allerdings häufiger unter die Kategorie „praktizierend“ als die benachbarten Kirchenmitglieder.
Und daraus hat sich schon vor Jahrzehnten ein ganz spezielles Kopfschütteln unter den muslimischen Einwanderern entwickelt. Während sie sich noch mühsam in Pleite gegangenen Tante Emma-Läden ihre ersten Moscheen einrichteten, hatten sie Mühe zu kapieren, dass die Deutschen für all ihre stattlichen Kirchen tatsächlich keine Verwendung mehr haben. Ja, sie hatten richtig verstanden: dies ist ein christliches Land fast ohne Menschen mit einem deutlichen coming-out als Christinnen und Christen, fast ohne Bürgerinnen und Bürger, die konkrete Dinge tun oder die Finger davon lassen, weil ihr Glaube ihnen Richtschnur ist.
Zunächst einmal, in den 70er, 80er Jahren war das ziemlich irritierend. Inzwischen nährt diese Beobachtung Urteile und Vorurteile. Den eigenen Glauben in der Mülltonne deponieren und zum Ausgleich den Glauben der anderen diffamieren, ohne wirklich etwas von ihm zu wissen! Christentum als inhaltsleere Dekoration einer Gesellschaft, in der sich über Jahre via Tagesschau ein Begriff wie „Dönermorde“ einbürgern konnte. Da wird auch ein kleines Kreuz im Gerichtssaal zum Ärgernis, ganz abgesehen von höchstrichterlichen Leitlinien.
Wir werden erfahren, ob das OLG in München in Sachen Kreuz die nahe liegende Entscheidung trifft. Mir ist es wichtiger, noch ein wenig Erfahrung damit zu sammeln, was es heißt, etwas von der Last des Kreuzes in unserer Zeit mit zu tragen.