Soll ich wirklich unseren Kühlschrank segnen? Ich weiß nicht so recht. Aber die Idee hat etwas. Ich bringe sie aus einem Zufallsgespräch nach dem Sonntagsgottesdienst mit nach Hause. Eine Gemeinderätin und ich stapeln gerade die verschiedenen Kollekte-Münzen zu kleinen Türmchen. Da kommt meine Partnerin noch mal auf die weggeworfenen Lebensmittel zu sprechen. Der Pfarrer hatte in der Predigt die aktuellen Schlagzeilen zitiert: jeder von uns wirft jährlich mehr als 80 Kilo einwandfreier Lebensmittel in die Mülltonne. Klar, er hat Jesus mit seinen fünf Broten und zwei Fischen gegen diesen Skandal in Stellung gebracht. Aber ändert das irgend etwas an der knallharten Gesetzen von Markt und Wettbewerb?
„Bei meiner Oma wäre das nicht passiert,“ sagt sie. „Die hat jedes Brot vor dem Anschneiden gesegnet. Bei der ist nie etwas verschimmelt.“ Ich habe von diesem frommen Brauch schon mal gehört. Wenn unsere Kollektenzählerin ungefähr zehn war, als sie ihrer Oma auf die Hände sah, dann muss sich die Szene so um 1970 abgespielt haben. Omas Brot kam, wenn nicht zu Hause gebacken, damals sicherlich noch von einem handwerklichen Bäcker, nicht aus einer Fabrik.
„Heute müsste man eigentlich den Kühlschrank segnen“, schiebt die etwa 50jährige Finanzbeamtin hinterher.Ich nicke wortlos. Gleich danach geht jeder auf seinen Heimweg.
In unserer Wohnküche lasse ich mich erst mal in den Familienchef-Sessel plumpsen wie meistens. Diagonal fällt der Blick auf den Kühlschrank. Er ist nicht mehr ganz neu. Aber damals war er der beste Energiesparer am Markt. Heute ist er recht gut gefüllt. Mehrere Enkel und ihr Appetit stehen ins Haus. In den nächsten Tagen wird also kaum etwas vergammeln.
Aber die Bemerkung von vorhin erinnert mich an manche Wegwerf-Handgriffe meiner Frau aus jüngerer Zeit, aus dem Kühlschrank in den Bioabfalleimer, so gut wie jedesmal begleitet von ärgerlichen, manchmal auch zornigen Worten; immer dann, wenn ich mich in Hörweite aufhielt.
Leider sind das keine Marotten einer streitsüchtigen Gemahlin. Bei fast allem, was sie schließlich wegwirft, hat sie noch genau und wahrheitsgemäß im Sinn, wann ich die Ware vorbei am Einkaufszettel oder in unsinniger Menge – die Augen waren größer als der Magen – angeschleppt habe. Lebte ich allein, Gott bewahre, die Folgen wären wahrscheinlich ruchbar.
Man darf sicher sein, dass der Erfinder des Kühlschrankes den Müttern – und neuerdings auch den Vätern im Familiendienst – einige Lasten abgenommen hat, fast so viele, wie der Erfinder der Waschmaschine. Dass sein Werk sich heute als Zwischenlager beim Verderb von Lebensmitteln entpuppt, darf natürlich nicht den Ingenieuren angelastet werden. Das geht zu Lasten der Benutzerinnen und Benutzer, von denen ich mit meinen Lüsten sicherlich noch nicht der Kopfloseste bin.
Der beim Kollektezählen vorgeschlagene Segen für den Kühlschrank kann sich also nicht auf die Kältetechnik beziehen. Die funktioniert über lange Jahre oder hat auch mal eine Macke. Segen ist dabei so oder so nicht das Mittel der Wahl.
Aber unsereiner, der Herr Verbraucher, das Lebewesen, um das sich in der Lebensmittelindustrie alles dreht, kann einen Kühlschrank-Segen richtig gut gebrauchen. Dringender noch als die Hungrigen vergangener Generationen oder Weltgegenden, denen ihr Erfahrungsschatz beim Umgang mit begrenzten Lebensmittelvorräten geholfen hat. Die Oma von 1970, die ihr Brot mit einem Segenszeichen anschnitt, ist nicht einfach die ältere Schwester heutiger Supermarkt-.Senioren. Wer heute selbstständig wirtschaftender Alter ist, wird mit einem Spezial-Sortiment zugeschüttet, das tausende von Artikeln, zum großen Teil kühlschrank- oder gefrierschrank-pflichtige, umfasst. Am anderen Ende der Kauforgie wartet dann die Wegwerf-Orgie.
Hier um einen Segen zu bitten, der Maß und Urteilsvermögen schärft, ist nicht nur gut für mich, sondern für alle, die satt werden wollen. Vielleicht versuche ich´s mal. Ich muss ja meiner Frau nichts verraten.