Löwe adé?

 

Ich weiß, der massenhafte Artentod geht auf das Konto des Menschen, also anteilig auch auf meines. Aber dieses Artensterben im „Anthropozän“ – dem Zeitalter, wo der Mensch reinhaut in die Schöpfung, wie seinerzeit der Riesenweltraumbrocken in die Welt der Dinos – vollzieht sich weitgehend anonym, unanschaulich, und deshalb umso ungehemmter. Dies schon wegen der ungeheuren Konzentration von Tier- und Pflanzenarten an den sog Hot Spots der Artenvielfalt. Dazu gehören die letzten Naturwälder in Amazonien, in Asien und in Afrika südlich der Sahara, dort, wo sich die Menschheit weniger drängelt.

 

Was da – von Pflanzen gar nicht zu sprechen – bei einem einzigen größeren Kahlschlag für neue Ölpalmenplantagen für immer vom Erdboden verschwindet, war teilweise noch nicht einmal in wissenschaftlichen Artenregistern erfasst. Aber was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß! Ein paar hundert Falter-Varietäten, Käferarten, noch kleineres Krabbelzeugs. Was soll´s? Ich lebe ja doch in einigem Sicherheitsabstand zu diesen Problemzonen. Vor hundert Jahren wäre das sogar noch eine wochenlange Schiffsreise gewesen.

 

Ich weiß, ich muss es besser wissen. Und ich weiß es ja auch besser, im Kopf. Aber im Bauch, in den Nieren, wie unsere Vorfahren zu biblischen Zeiten gesagt hätten, da wo die unser Tun und Lassen steuernden Gefühle sitzen, da lasse ich die schrecklichen Bilanzen von Tropenwald-Ökologen und Klimaleuten schon mal an mir ablaufen, wie einen Regenguss am Ostfriesennerz. Mir fehlt die eigene Vertrautheit mit diesen Netzwerken der Schöpfung, die da aus Profitgeilheit für immer zerrissen werden. Es ist beeindruckend zu lesen, aber nicht selbst erlebt. Da braucht es mindestens schon eine schöne Papageienart, besser noch ein zoofähiges Urwald-Säugetier, dessen Artentod durch Lebensraumzerstörung besiegelt würde. So was macht dann auf sehr viel kürzerem Weg artikulations- und aktionsfähig.

 

Blitzlichtartig hat sich mir das dieser Tage bestätigt. Mehrmals kurz hintereinander blickte ich in Zeitungen in aufgerissene Löwenmäuler; Illustration für Meldungen, nach denen es mit panthera leo in großen Teilen Afrikas mit Riesenschritten zuende geht. Dort, wo keine Safaribus-Kolonnen mit Pauschaltouristen an den ja meist dösenden Beutegreifern vorbeifahren, in westafrikanischen Ländern also, läute dem Wappentier der Bayern sogar schon die Artentod-Glocke. Vielleicht noch 250 erwachsene Löwen in einem Gebiet von der Größe Westeuropas. Da finden die kaum noch zusammen, die zur Arterhaltung zusammenfinden müssen. Aber eigentlich sind die dummen Löwen ja selber schuld. Sie sind, so lese ich, den Nachweis ihres wirtschaftlichen Nutzens schuldig geblieben, anders als die Safari-Tourismus-Löwen. Und wer nix beiträgt zum Bruttosozialprodukt, kommt eben auf die Abschussliste.

 

Dass Löwen zum Pflichtprogramm europäischer Zookultur gehören, weiß jeder, der seinen Enkel zum Zoobesuch an die Hand nimmt. Carl Hagenbeck hatte ihnen in seinem einst wegweisenden Tierparkkonzept einen zentralen Platz zugewiesen. Der Zoo Leipzig hat über Generationen sein Image als „Löwenfabrik“ gepflegt. Er konnte das, weil die Großkatzen sich auch in Menschenhand so unkompliziert züchten lassen, wie unsere häuslichen Mäusejäger. Ich vermute mal, dass die Löwenhaltungen vieler Zoos heute eher der vielschichtigen Popularität der Tiere geschuldet sind, als Zielen der Arterhaltung – jedenfalls, was die afrikanischen Löwen angeht. Die Pille oder hormonelle Implantate für die Löwinnen sind unumgänglich.

 

In dies Gefühl von der Alltäglichkeit des Löwen, – vom Zoo bis zum Ostafrikaurlaub – schlägt die Meldung vom Verschwinden jenes Symboltieres hinein, dass von allen tierischen Stars noch am ehesten Allerweltscharakter besaß: Nashörner, Elefanten, Tiger: ja, ja wir wissen, sie werden gemetzelt wegen der verrückten Chinesen mit ihrem Potenzmittel-Wahn. Aber Löwen, die jedermann in einer etwas stabileren Garage züchten kann? Die Verwüstung der Schöpfung durch den Menschen hat die dominierenden Motive unseres Naturbildes erreicht. Löwen gab es immer. Über x-tausend Jahre haben Menschen in Afrika, Europa und Asien sich vor ihnen gegruselt oder ihre Herrschaftsphantasien auf sie projiziert. Und jetzt soll einfach Schluss sein, sang- und klanglos?

 

Solche Nachrichten lassen bei uns Normalbürgern das politische Adrenalin schon etwas schneller fließen, als Desasterbilanzen aus fernen Kahlschlagzonen.

 

Von Gazellen und Zebras wäre es ein wenig viel verlangt, das regionale Aussterben der Löwen zu bedauern. Aber Wildökologen haben längst die Rechnung aufgemacht: wo die Beutegreifer dauerhaft ausfallen, können die Grasfresser gar nicht anders, als ihre natürliche Lebensgrundlage zu übernutzen. Auf mittlere Sicht mit verheerenden Folgen für sie selbst. Denn erstens kommt es anders – und zweitens als man denkt.

 

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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