Ostern, 8. April 2012
Warum
sprichst
du
denn:
„Mein
Weg
ist
dem
Herrn
verborgen
und
mein
Recht
geht
an
meinem
Gott
vorbei?“
Er
gibt
den
Müden
Kraft
und
den
Ohnmächtigen
genug
Stärke.
Männer
werden
müde
und
matt
und
Jünglinge
straucheln
und
fallen.
Aber
die
auf
den
Herrn
vertrauen
kriegen
neue
Kraft,
dass
sie
auffahren
mit
Flügeln
wie
Adler;
dass
sie
laufen
und
nicht
matt
werden;
dass
sie
ihren
Weg
gehen
und
nicht
müde
werden
(Jesaja 40, 26+29-31)
Wofür ist Ostern gut? Dafür, dass genau dies passiert, was in den Trostworten des zweiten Jesaja-Propheten versprochen wird: „Die sich auf den Herrn verlassen, kriegen neue Kraft, so dass sie auffahren mit Flügeln – wie Adler.“
Deshalb sind diese Sätze aus dem 6. Jahrhundert vor Christus nach alter Tradition der Osterwoche zugeordnet. Der ursprüngliche Zusammenhang, in dem diese Worte stehen, hat mit Jesus von Nazareth, dem Christus des Ostermorgens, nichts zu tun – natürlich nicht.
Der von uns sogenannte „Zweite“ Jesaja, dessen Stimme wir ab dem 40. Kapitel des Jesaja-Buches hören, hat den Auftrag, das tief gedemütigte und hoffnungslose Israel zur Zeit der Babylonischen Gefangenschaft wieder aufzurichten. Seine Überzeugung: Gott hat sein Volk nicht endgültig verlassen. „Tröstet, tröstet mein Volk, redet freundlich mit Jerusalem“, ist sein Leitwort. Gott hat sich seinem Volk wieder zugewandt. Dessen ist er gewiss. Gott wird Israel neues Gottvertrauen, neue Lebenskraft schenken. Kein Wunder, dass unsere ersten Mütter und Väter im Glauben an dieser Reanimation des Gottvertrauens hängengeblieben sind, an diesen Sätzen, die zu ihren Lebzeiten schon mehr als 500 Jahre als waren.
Was der Prophet vor langer Zeit in Worte fasste, hatten sie selbst erlebt: den Zusammenbruch eines Glaubens, einer Liebe, einer Hoffnung in 48 Stunden, zwischen Gründonnerstag und Karsamstag. „Und wir dachten, er würde Israel erlösen,“ klagen die Emmaus-Jünger ihrem unerkannten Wegbegleiter.
Nur Gott konnte diese enttäuschte, zerbrochene Glaubensbeziehung von neuem mit Leben erfüllen. Nur Gott konnte den Ostermorgen heraufführen. Er hat es getan. Das ist die Gewissheit, die sie teilen, wenn darauf bestehen: „Der Herr ist auferstanden: Er ist wahrhaftig auferstanden“
Etwas ganz Wichtiges haben diese beiden Auferstehungserfahrungen des Glaubens gemeinsam. Sie werden bezeugt und gelebt in einer Gemeinschaft, von einer Gemeinschaft. Wo immer der Auferstandene einzelnen Jüngerinnen und Jüngern begegnet: sie behalten ihre Erfahrungen nicht für sich, sondern reden bei erster Gelegenheit darauf los. Zuerst untereinander, dann in der Öffentlichkeit von Jerusalem.
Nicht anders hat die Exil-Generation der alten Zeit nur als Gemeinschaft neu mit ihrem Gott anfangen können. Der Begriff „Glaubensgeschwister“ ist mehr als eine fromme Floskel.
Also bezieht sich auch das Bild von der Kraft der Adlerschwingen zuerst auf die Gemeinschaft; im alten Israel nicht anders, als in der ersten Gemeinde des Auferstandenen. Gewiss, jede und jeder darf sich sein Teil von dieser Verheißung nehmen und festhalten. Wir bleiben ja einzelne Menschenkinder, Töchter Evas und Söhne Adams mit unverwechselbaren Namen und Gesichtern. Aber Gott segnet uns durch die tragende Kraft, die sich im ganzen Volk Gottes entfaltet.
Die Adlerschwingen besingen – so gesehen – nicht einzelne Glaubensheroen, deren Zuversicht und Wagemut wir bewundern, aber nie erreichen. Die Adlerschwingen stehen als Versprechen Gottes für unsere Kirche, auch für diese Gemeinde. Beide, das ist gemeint, müssen sich auch heute nicht im Mauseloch verkriechen.
Nicht weil wir auf einmal den Bogen raus hätten, wie man in unserer Gesellschaft seine Position behauptet. Unsere Selbst-Erfahrungen, vom Stadtteil bis zu den großen Meinungsumfragen, sind seit Jahr und Tag beinahe regelmäßig Ohnmachtserfahrungen.
Eine passende Ausgangslage! Denn die österliche Lebensregel lautet „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“. Sie soll und kann unsere Gemeinschaft befreien und aufrichten. Denn Gott nimmt, wen er hat, um die Stimme Jesu, um seine großen Alternativen in unsere Zeit zu tragen. Gott hat nur uns. Darum will er unseren Glauben erneuern – so wie Jesus das getan hat mit den Verängstigten, Rückwärtsgewandten in den Hinterzimmern von Jerusalem. So kommen die Adlerschwingen in das Leben unserer Kirche. Ostern verleiht Flügel.
Schauen wir uns die Flügel des Glaubens mal etwas genauer an. Flügel funktionieren ja nicht so wie in dem prominenten Werbespruch einer überteuerten Limonade „Red Bull verleiht Flüüügel“. Schluck das Zeug und heb´ ab, tob´ dich aus! Wäre unser Adler abhängig allein von seinen Muckis, er käme nicht hoch und nicht weit genug, um sein Adlerauge zu nutzen. Auch der kleinste Piepmatz hat als sein persönliches Erbe der Evolution natürlich eine Brustmuskulatur, mit der wir nicht mithalten können. Aber diese anatomische Anpassung macht ihn noch lange nicht zum überlebensfähigen Flieger.
Ich erinnere mich an den Steinadler in den Alpen; wie er sich mühen musste, um von der Almwiese wieder in die Luft zu kommen, nachdem er vom Kadaver eines tot geborenen Lammes gefressen hatte. Anlauf, Flügelschlagen, ein enormer Kraftaufwand, bis unter seinen Flügeln Strömungsverhältnisse herrschten, die ihn abheben ließen. Aber es dauerte noch einige Zeit, bis der kraftraubende Flügelschlag zur Ruhe kam und das adlergleiche Gleiten im Luftraum begann.
Wie anders, wenn der große Greifvogel sich von seinem Horst in einer Felswand in den Luftraum fallen lässt. Ein paar wenige Bewegungen seiner Schwingen und er hat die für unsere Augen unsichtbaren Auf- und Abwinde erreicht, mit deren Hilfe er sich sein Leben lang bewegt; die Flügel ruhig ausgebreitet; nur selten ein Flügelschlag zur Korrektur, seinen Lebensraum im Blick. Die Flügelspitzen oft leicht nach oben gebogen.
Vogelforscher und Flugzeugbauer wissen längst, dass diese hochgebogenen Flügelspitzen keine Spielerei sind. Versucht doch, beim nächsten Urlaubsflug in die Karibik mal einen Platz zu ergattern, der euch einen Blick auf die Flügel des Airbusses erlaubt. Euer Blick fällt dann auf die sog. Winglets, die „Flügelchen“, die den Spitzen den ausgebreiteten Adlerflügeln nachempfunden sind. Flugsicherheit, Spritverbrauch und allerlei weitere Vorteile hängen von der Form der Flügelspitzen ab.
Ich hätte wahrhaft Lust, euch noch eine Menge über das Schöpfungswunder des Adlerflügels zu erzählen. Aber das ginge auf Kosten des pünktlichen Mittagessens. Auch so verstehen wir: die Adlerflügel tragen ein langes Greifvogelleben lang, nicht weil unser „König der Lüfte“ so ein Kraftprotz wäre, der unentwegt mit seinen Flügeln durch die Luft rudert, sondern weil die Schöpfung ihn anleitet, sich tragen zu lassen. Die größtmögliche Anstrengung seiner Muskeln ist eher die Ausnahme. Auch das Bild vom Adler in unserem inneren Kino ist ja nicht das des Flattermanns, der sich verausgabt, sondern des Meisters des geringsten Kraftaufwandes. „Auffahren mit Flügeln, wie Adler,“ ohne Kraftaufwand? Diese unbewusste Meisterschaft, das Gleichnis seiner Lebensart für unseren Glauben ist offensichtlich: er vermag anzunehmen, was für ihn bereit steht, was seine begrenzten eigenen Kräfte vervielfacht. Er fliegt, aber eigentlich wird er geflogen.
Die Welt des Osterglaubens: so etwas wie der tragende Luftraum im Gebirge. Luft, nichts als Luft. Aber eigentlich – wir spüren es auf unserer Haut – Bewegung. Eines der ältesten und häufigsten biblischen Bilder für die Lebenskraft Gottes ist das des Luftstromes. Der Atem des Lebens ist sinnliche Erfahrung und Bildwort der Anbetung zugleich.
So können wir versuchen, all die Worte des Auferstandenen an seine Jüngerinnen und Jünger zu deuten als Flugunterricht für den tragenden Luftraum des Glaubens. Im Adlerhorst geht das ohne Worte mit der Überzeugungskraft der Instinkte. Das heranwachsende Küken erlebt viele Male, wie sich seine Eltern dem Luftraum anvertrauen. Und irgendwann, wenn die körperlichen Voraussetzungen gegeben sind, wird es folgen; unbeholfen, aber in der Regel unfallfrei.
Jesus benutzt Worte. „Fürchtet euch nicht.“ „Geht hinaus in die Welt und predigt die Gute Nachricht allen Geschöpfen.“ „Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Zeit.“ Aber was er tut, gleicht dem Beispiel der Adlereltern.
Egal, wie alt wir sind; unser Vorrecht ist es, dem Adlerküken zu folgen. Erst der Sprung in den tragenden Luftraum des Glaubens macht uns zu dem, was Jesus sich erhofft. Zu Menschen, die Vergebung, handfeste Liebe, Gerechtigkeit und Frieden in unsere Zeit tragen – und dabei nicht abstürzen.
Ein Adler hat bald begriffen, dass er ein Adler ist, dass er sich fürs Fliegen nicht abstrampeln muss. Mit der Aerodynamik des Glaubens ist das mühsamer. Ich bin da jedenfalls sehr vergesslich. Darum brauche ich alle Jahre wieder die Osterbotschaft.