2. Sonntag nach Trinitatis, 20. Juni 2004
Jesus sprach: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit! Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der zweite sprach: Ich habe fünf Gespanne Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der dritte sprach: Ich habe eine Frau genommen; darum kann ich nicht kommen. Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. Denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.
(Lukas 14, 16-24)
Kardinal Lehmann, der Sprecher von Deutschlands Katholiken, nimmt es ziemlich gelassen: „Gott wird nicht sterben, nur weil er in der neuen EU-Verfassung ungenannt bleibt.“ Bruder Lehmann hat recht. Aber für viele Christenmenschen ist die Vorstellung dennoch gewöhnungsbedürftig. Da geht in diesen Zeiten ein muslimisch geprägtes Land nach dem anderen dazu über, das Religionsrecht, die Scharia, zum Grundgesetz zu erheben, nach dem sich das ganze Leben von Bürgern und Gesellschaft zu richten hat. Und längst nicht alle Scharia-Staaten praktizieren die Toleranz gegenüber Andersglaubenden, für die es ja in der Geschichte des Islam eindrucksvolle Beispiele gibt. Drakonische Scharia-Strafen, bei denen es uns kalt den Rücken herunterläuft, werden immer wieder verhängt. Sie erinnern uns zwangsläufig an die ungezählten Scheiterhaufen, die unter Missbrauch des Namens Jesu in der Geschichte angezündet worden sind. Trotzdem, was ist eine EU-Verfassung ohne Bezug auf den Gott der Bibel für ein Signal an die Welt, z.B. an die muslimische? Heißt das nicht im Klartext: Europas Politiker können so etwas in ihrem Verhandlungspoker beschließen, weil der Gott der Bibel die heutigen Europäerinnen und Europäer in ihrer Mehrheit herzlich wenig kümmert?
Suchen wir im Gleichnis Jesu vom großen Festmahl nach einem Kommentar zu dieser erstaunlichen Situation. Der Gastgeber, von dessen Erfahrungen mit seinen Gästen hier die Rede ist, ist Gott selber. Mit Gott an einem Tisch sitzen dürfen, das ist ein Bild, mit dem biblische Texte immer wieder die Nähe, die Gott selber sucht, beschreiben. Die Nähe und auch seine besondere Einladung, seine Erwählung. Gott selbst beschließt in seinem Herzen, wen er an seinem Tisch sehen möchte. Immer und immer wieder rufen die geistlichen Führer Israels das ihren Landsleuten in Erinnerung. Nicht ihr habt Gott erwählt. Nicht ihr habt Gott durch irgendetwas verpflichtet oder gar gezwungen, sich euch zuzuwenden. Nach Maßstäben weltlicher Macht wart ihr ein Nichts. Gott hatte einfach Freude daran, mit euch einen Bund der Liebe und des Rechtes zu schließen.
Ein Zeichen dieses Bundes sind die Mahlzeiten, bei denen die Glaubenden ihren Gott in ihrer Mitte wissen. Angefangen hat das mit Mahlzeiten, die die Israeliten regelmäßig anlässlich ihrer Opfergottesdienste hielten – richtige Sättigungsmahlzeiten wohlgemerkt – anders als unsere Mahlfeiern. Warum wer in Jesu Gleichnisgeschichte auf der Einladungsliste für das Festmahl steht, erfahren wir nicht. Der Gastgeber entscheidet, er allein. Aber was aus der Einladung wird, hat er nicht in der Hand. Bei aller Großzügigkeit ist er darauf angewiesen, dass seine Einladung angenommen wird. Und diesmal bekommt er eine Absage nach der anderen. Allerdings sind es keine Bagatellen, derentwegen sich die Eingeladenen entschuldigen. Wichtige geschäftliche Entscheidungen, Landkauf, Investition in Zugvieh – damals als es noch keine Motoren gab – und erst recht die eigene Hochzeit. Das wird der Gastgeber verstehen, das wird er verstehen müssen! Das berufliche, das wirtschaftliche Vorankommen, gerade in schwierigen Zeiten, das hat Priorität. Das hat seine eigene Gesetze und Spielregeln. Da können die Zehn Gebote und erst recht die Bergpredigt Jesu rasch im Wege stehen. Wie gesagt, der Gastgeber im Gleichnis ist Gott selber. Aber die Leute, die große Investitionen tätigen können, egal ob in Aktienpakete oder in Ochsengespanne, sind wahrscheinlich zu allen Zeiten eine Minderheit. Heiraten tun auch die kleinen Leute. Und wie´s im ganz Privaten zugeht, das geht niemanden etwas an. Aber ich will das Gleichnis Jesu nicht verbiegen. Es kommt ja gar nicht darauf an, wie verantwortungsbewusst jener frischgebackene Ehemann seine Ehe zu führen gedenkt. Wir erfahren nichts darüber – nur seine Absage.
Aber dieser Fingerzeit auf unsere Zeit ist doch nicht zu übersehen: im größten Teil Europas mit seiner von Bibel und Kirchen geprägten Geschichte laufen dem himmlischen Gastgeber die Gäste weg, sofern jede Taufe – halbwegs ernst genommen – so eine Einladung in Gottes Familie und an seinen Tisch bedeutet. Die meisten Einladungen landen im Papierkorb. Und die meisten Abmeldungen erfolgen schweigend und mit weniger Bitten um Verständnis.
Noch einmal: als der Gastgeber das enttäuschende Echo auf seine Einladung erfährt, reagiert er nicht mit Vorwürfen, in dem Sinne: Alles Ausreden, welche Undankbarkeit oder Ähnliches. Darum ist es auch nicht unser Auftrag, unseren Mitmenschen, die das Kapitel Glauben ad acta gelegt haben, mit Vorwürfen zu begegnen. Trotzdem ist vom Zorn des Gastgebers die Rede. Denn er sieht das Fest des Lebens in Gefahr. Das Fest, das Gott nicht mit sich allein feiern will. Das kann er überhaupt nicht. In dieser Rolle des düpierten Gastgebers ist der Allmächtige nicht allmächtig. Aber der Gastgeber schickt keine Strafexpedition aus wie bei Matthäus, sondern neue Einlader – Bitter könnte man sagen – so wie frühere Generationen den ländlichen Hochzeitsbitter kannten. Neu ist die Zielgruppe. Nicht mehr die Investoren, die, die in geregelten Verhältnissen leben. Jetzt sind Arme, Kranke, Behinderte die Zielgruppe, um ein charakteristisches Wort unserer Beziehungssprache zu benutzen. Ein überaus ungewöhnliches Bild wird dieses Bankett abgeben. Und wo die wirklich armen Teufel zusammenkommen, riecht es auch nicht nach Hugo Boss. Ein erster Schwung dieser außergewöhnlichen Gäste ist schon nachgerückt, erfährt der Gastgeber. Aber es ist noch Platz. Jetzt will der Gastgeber es wissen: „Geht hinaus an auf die Landstraßen und an die Zäune … damit mein Haus voll werde.“
Wie viel von diesem Austausch der Gäste am Tisch Gottes mag sich in unserer Zeit abspielen? Etwas bestimmt. Dadurch dass Christinnen und Christen im EU-Europa den Platz an Gottes Tisch nicht mehr nutzen, ist es an ihm nicht leerer geworden. Der fest geprägte Begriff von der „Kirche der Armen“ steht für Abermillionen, die im Elend Mut und Hoffnung schöpfen aus der Botschaft Jesu. Aber auch in unserem Land gibt es neue Zellen dieser Kirche der Mühseligen und Beladenen, die wissen, was sie an Jesus haben.
Arm und gelähmt, das ist darüber hinaus keineswegs immer eine Frage des Kontostandes oder der ärztlichen Diagnose. Es kann jede und jeden treffen. Und wer von uns das am besten weiß, soll auch wissen, dass unser Platz an Gottes Tisch nie schon besetzt ist. Wir nehmen niemandem diesen Platz weg. Und niemand kann uns unseren wegnehmen.
Und die, die fernbleiben? Sie werden nicht bestraft. Jedenfalls nicht in dieser Version des Jesus-Gleichnisses. Sie haben sich einfach selbst um ein wunderschönes Erlebnis gebracht. Wer nicht am Tisch sitzt, kann nicht schmecken, nicht genießen, nicht satt werden, nicht seine Nachbarn kennenlernen. Grund genug, die Fernbleibenden doch immer wieder einzuladen.
Wie gesagt, Kardinal Lehmann erinnert uns, dass Gottes Gegenwart und Kraft nicht vom Papier der EU-Verfassung abhängen. Politiker sind in dieser Sache schlicht unzuständig – und die klugen unter ihnen werden das wissen. Welche Rolle Gott in unserem Leben spielt, welche Rolle Gott spielt, wo unser Leben Auswirkungen hat auf das Leben anderer und der ganzen Schöpfung, das entscheiden wir selbst. Äcker und Ochsen kaufen, sogar heiraten, nichts dagegen zu seiner Zeit. Solange uns nichts über Gottes Einladung geht.