Heiligabend, 24. Dezember 2005
„Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind, gewickelt und in einer Krippe liegend.“
(Lukas 2,12)
Und das habt als Zeichen… Ich erinnere mich an den Abend des 30. Juni 1966. Ich stehe an einer Bushaltestelle in Münster in Westfalen, schaue einem Bus hinterher – und dann auf meine rechte Hand. Ein Ehering, wie ihn viele in diesem Raum tragen, aber nagelneu, von heute morgen. Das Zeichen: jetzt bin ich mit ihr verheiratet, meinem Mädchen, das da im Bus zum Studentinnenheim in die Stadt fährt.
Ein Zeichen, damals noch für Verheiratete gang und gäbe. Ein Zeichen für manches: Freude zuerst, natürlich, aber auch für eine getroffene Lebensentscheidung, einschließlich einer Prise Ungewissheit: Wie wird es werden? Aber eben doch: Das Zeichen für eine Liebe, die ihren Weg suchen will.
„Und das habt als Zeichen“, hören die Hirten auf den Feldern von Bethlehem. Die gewaltigen Versprechen der himmlischen Stimmen brauchen einen Anker, damit das Herz sie festhalten kann, etwas das sich anschauen und berühren lässt. „Für euch ist heute der Retter geboren.“ Für Menschen wie euch. Geboren in ein Leben wie das eure. In ein Leben kleiner Leute, wo es für einen Säugling durchaus schlechtere Aufbewahrungsorte gibt als eine Krippe. Und weil uns Gottes Gedanken und Wege nun einmal verschlossen bleiben, dieses Zeichen. Nehmt Gottes Liebeserklärung an euch in Augenschein. Haltet euch an das, was jedes Menschen Herz von Anbeginn erreicht und begreift.
Gott ist angekommen in deinem Leben. Er bittet um Einlass. So wie ein Neugeborenes bittet, ohne Worte und völlig unüberhörbar. Gott kommt an, aber er ist darauf angewiesen, aufgenommen zu werden, wie ein Neugeborenes. Und wir wissen, es gibt die Schicksale, wo Eltern die seelische oder körperliche Kraft fehlt, ein Kind, das geboren wird, auch in ihr Leben aufzunehmen.
Wenn du es auf den Punkt bringen willst, dieses Zeichen des Heiligen Abends, des Kindes in der Krippe, dann halte fest: Gott bittet um Aufnahme in dein Leben, für einen langen gemeinsamen Weg. Und Gott kommt nicht mit leeren Händen – so wie auch ein Neugeborenes schon soviel mitbringt bei der allerersten Begegnung.
Gott kommt in dem Kind Jesus nicht mit leeren Händen. Denn er lässt die Engel ein neues Grundgesetz des Lebens verkünden: Ehre sei Gott in der Höhe! Das heißt, der Himmel ist ganz nah. Gott sucht seine Anerkennung, die auch er braucht, nicht in fernen Welten, die uns egal sein können. Er wirbt um Liebe und Dankbarkeit bei seinen Menschen, bei denen, die wissen, was sie an ihm haben. Engelchöre sind immer auch Stellvertreter für menschliche Stimmen. Für Menschen, die sich das Leben zutrauen, weil der Himmel so nahe ist.
Und Friede auf Erden! Die unendliche Geschichte menschlicher Feindschaften und Gewalttaten – von der eigenen Familie und Nachbarschaft bis zu den völkerverschlingenden Folgen von Feindbildern, Krieg und Ausbeutung – sie behält doch nicht das letzte Wort. In jede und jeden von uns legt dieser Gott die keimfähigen Saatkörner des Friedens. Der Friede auf Erden ist beides: eine Verheißung und Kraft, die von unserem Gott ausgeht – und eine reale Möglichkeit zu leben – wie wir am Weg des Menschen Jesus von Nazareth entdecken können.
Bei den Menschen, an denen Gott Wohlgefallen hat. Das ist der Blick, mit dem dein Gott dich anschaut. Durchaus vergleichbar mit dem Blick, mit dem wir Neugeborene umarmen, solange unser Herz auf dem rechten Fleck sitzt. Gottes erste Reaktion, wie er dir an diesem heiligen Abend begegnet, ist, nicht an dir herumzumäkeln – oder gar den Stab über dir zu brechen. Er freut sich, dich zu sehen. Er freut sich darauf, mit dir einen Lebensweg zu gehen.
Das Kind in der Krippe, ein Zeichen für das alles: der Himmel ist dir nah; der Friede in deinem Leben und für die Welt kann immer von neuem wachsen; und der erste Blick Gottes auf dich ist erfüllt von bejahendem Wohlgefallen.
Das habe zum Zeichen und nimm es mit! Als erwachsener Mensch wohl wissend, dass ein Zeichen für eine wichtige Sache stehen kann – aber es ist nicht die Sache selbst. Am erwachsenen Jesus, an den Entscheidungen, vor die er stellt, führt für Christenmenschen kein Weg vorbei. Aber das Herzensbild vom Kind in der Krippe wird uns bereiter und mutiger machen, dem Ruf dessen zu folgen, an dem sich die Geister scheiden.
Mit dem Kind in der Krippe ist es ein bisschen wie mit dem Ehering: der Ring ist nicht die Ehe. Er kann aber durchaus erinnern, aufmuntern, motivieren. Das Kind in der Krippe ist nicht der ganze Glaube, wirklich nicht. Aber es ist die nie verjährende Einladung auf den Weg des Lebens.
Bleibt noch die kleine Frage bei denen, die mir schon mal auf die Finger geschaut haben: Junge, wo ist denn dein Ehering? Verloren, irgendwann bei Gartenarbeiten in den 80er Jahren. Ich kann damit leben, weil meine Frau ihren auch verloren hat, auch im Garten. Einen Neukauf haben haben wir schon mal überlegt. Aber dann doch verworfen. Zeichen sind irgendwann im Archiv des Herzens abgelegt, zuverlässig und unersetzbar. Mit dem Zeichen vom Kind in der Krippe kann es uns ähnlich ergehen.