4. Advent, 20.Dezember 2009
Mit Präsentation von Banafair-Kleinbananen der Friedensgemeinde San José de Apartadó, Kolumbien
„Friede auf Erden“. Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen, jedenfalls wenn es sich um politische Visionen handelt. Das meinte vor vielen Jahren Altbundeskanzler Helmut Schmidt. „Schmidt-Schnauze“ nannten wir ihn im Westen – wegen dieser Fähigkeit, Streitfragen drastisch auf den Punkt zu bringen. Die Familien im kolumbianischen Bergdorf San José de Apartadó hatten auch eine Vision, eine politische. Ihre Vision: „Friede auf Erden – auf unserem Stück Erde.“ Aber sie sind nicht zum Arzt gegangen. Sie haben begonnen, ihre Vision zu leben; unter schwersten Opfern. 164 Dörfler wurden von den kolumbianischen Kriegsparteien seit dem 23. März 1997 ermordet, seit sich die Gemeinde feierlich und öffentlich zur „Friedensgemeinde“ erklärt hat.
Woran wie uns erinnern müssen: in Kolumbien herrscht Bürgerkrieg, seit unvorstellbaren 40 Jahren. Die Regierung der Reichen im Bunde mit halbmilitärischen Banden gegen eine Guerillabewegung. Alle versuchen, die Bevölkerung auf ihre Seite zu zwingen. Wer sich weigert, gilt automatisch als Unterstützer des Feindes. Die Folge: es gibt vielleicht kein Land auf Erden, indem es im Alltag um die Menschenrechte schlechter bestellt ist als hier im nördlichen Lateinamerika.
Die Vision der Bauernfamilien von San José, nachdem sie jahrelang vor allem von den halbmilitärischen Banden tyrannisiert worden waren: „Wir ziehen zusammen aus den verstreuten Weilern und organisieren uns als Friedensgemeinde; keine, wirklich keine Partei des Bürgerkrieges hat von uns irgend eine Unterstützung zu erwarten. Kein Bewaffneter wird in San José geduldet.“ Als die Regierung 2005 trotzdem eine Polizeistation im Dorf errichtete, ziehen viele Familien weg und gründen Klein-San José, wie sie es nannten, auf Gemeindeland ein paar Kilometer entfernt von neuem.
Die gelebte Vision der Bauern von San José hat sich in Windeseile in der Welt herumgesprochen, kein Wunder. Vor einigen Jahren waren zwei junge Frauen aus San José auch in diesem Raum zu Besuch. Ich meine, es war das Jahr, als die Gemeinschaft mit dem hoch angesehenen Aachener Friedenspreis ausgezeichnet wurde.
Seit damals leben auch Freiwillige der „Peace Brigades International“ (PBI) in San José. Das sind gut trainierte Leute aus unserem Teil der Welt. Sie begleiten unter Morddrohungen lebende Menschenrechtler in vielen Ländern auf Schritt und Tritt – und hängen das möglichst an die große Glocke. In Kolumbien haben diese mutigen Leute viel zu tun. Aber ihre Anwesenheit, die internationale Aufmerksamkeit, die sie schaffen, hat schon viele Gewalttaten verhindert. Mörder mit und ohne Uniform lieben nun mal das Dunkel. (Kollekten-Empfehlung)
Wie überall auf der Welt: die Bauern von San José de Apartadó müssen vom Ertrag ihrer Äcker leben. Am Anbau von Drogen, der Finanzierungsquelle der Guerilla ebenso wie von halbmilitärischen Banden und der Regierung beteiligen sie sich nicht.
Aber sie müssen den Raub ihres Landes auch aus anderem Grund fürchten: die Leute von Magdeburg über Paris bis New York wollen weiter Auto fahren wie bisher, obwohl die Ölquellen spärlicher sprudeln. Da wird sog. Biosprit, der mit „Bio“ nichts zu tun hat, zu einem der größten Zukunftsgeschäfte. Palmöl-Plantagen sind angesagt. Jeder Hektar, der sich rauben und zusammenraffen lässt, zählt.
Umso wichtiger ist eine halbwegs gesicherte landwirtschaftliche Einkommensgrundlage für die Familien von Klein-San José, wie es seit der Umsiedlung wegen der lebensgefährlichen Polizeistation heißt. Hier kommt der Faire Handel ins Spiel, eine der besten Gerechtigkeitsideen, bei denen unsere Kirche Pate gestanden hat: faire, den Lebensunterhalt sichernde Preise für harte Arbeit und gute Ware. Im Fall von San José sind das Kakao und Mini-Bananen. Aus dem Kakao von San José macht unser Fairhandelshaus gepa die „Choco de Paz“ „Friedensschokolade“, etwas gestelzt vielleicht der Werbename, aber er trifft ja die Sache.
Und auf 100 Hektar bauen die Leute ihre „Primitivos“ an, was im Spanischen nicht primitiv sondern ursprünglich bedeutet: die ca. 10 cm langen Kleinbananen, die es in Europa eigentlich nur in Delikatessgeschäften gibt. Sie sind erheblich teurer als gewöhnlicher Obstbananen, schmecken aromatischer, mit einer speziellen Süße, müssen erst richtig gelb und fleckig sein, bevor man sie schälen sollte – und zwar anders herum als normale Bananen.
100 Hektar Kleinbananen, wirtschaftlich gesehen klingt das hoffnungslos visionär – gemessen an den unermesslichen Hektarzahlen der Konzernbananen-Produktion. Genauso visionär wie das ganze Wagnis „Friedensgemeinde“. Aber Visionen haben ihre Chance, wenn Menschen etwas wagen. So auch die Fairhandelsorganisation „Banafair“ in Gelnhausen, die mit Geduld und Sachkunde über Jahre mit den Bauern von San José zusammengearbeitet hat, bis die „Primitivos“ heute bio-zertifiziert in Deutschland angeboten werden können. Und glaubt mir: rohe Eier sind nichts gegen Bananen auf ihrem Weg von der Staude bis in unseren Einkaufskorb.
Meine Frau und ich verbinden den Respekt vor den Wagemutigen in San José und Gelnhausen auch mit der Erinnerung an Werner Rostan. Ihr kennt ihn nicht. Er war Lateinamerika-Referent der Aktion „Brot für die Welt“. Er hat entscheidend dazu beigetragen, der Idee „Kleinbauern-Bio-Bananen in den Fairen Handel“ Flügel zu verleihen. Als Obstbauer, der er auch war, würde er sich sehr an den Primitovos freuen. Aber er ist 2008 gestorben.
Ihr könnt nachher zugreifen, wenn ihr wollt. Und der Gemeindekirchenrat mag bald einmal darüber beraten, ob die Gemeinde nicht überall da, wo sie kann – nicht nur beim wichtigen Beispiel Kaffee – ihre Einkaufsentscheidungen zugunsten des Fairen Handels fällt. Nach der Katastrophe des Weltklimagipfels wäre das ein sehr angemessener Beschluss.
Mit Jesus öffnet unser Gott die Tür zum „Frieden auf Erden“. Aber Frieden muss dann gelebt werden. Er kann gelebt werden. Er ist ein Wagnis. Aber eines ist Friede ganz bestimmt nicht: er ist keine behandlungsbedürftige Geisteskrankheit.