Apostolisches Glaubensbekenntnis (11)
08.06.2014
„Gemeinschaft der Heiligen“
Aus der dritten Aufzählung von Glaubenssachen in unserem Apostolischen Glaubensbekenntnis aus dem 5. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung zitieren wir heute, passend zum Pfingstfest: „Ich glaube an die Gemeinschaft der Heiligen.“
Einen nicht völlig fernliegenden Irrtum können wir kurz und bündig ausschließen: diese „Gemeinschaft der Heiligen“ ist kein „Club der Besten“ unter den Christenmenschen. Schon gar nicht ist eine kirchenamtliche Heiligsprechung durch eine einzelne Kirche, die römisch-katholische, die Eintrittskarte in diesen Club, den es sowieso nicht gibt. Obwohl: die pure Mitgliedschaft im ersten Jüngerkreis Jesu, vom Sonderfall Judas abgesehen, hat die kollektive Heiligsprechung nach sich gezogen. Alle sind sie also künftige offizielle „Heilige“, diese Jesus-Leute, die da am Pfingsttag in Jerusalem die Umkehr des Sprachenwirrwarrs beim Turmbau zu Babel am eigenen Leib erleben. (Diese grandiose Geschichte, wie sich der Schöpfer den Größenwahn seiner menschlichen Treuhänder souverän vom Leibe hält – durch die ernüchternde Wirkung der Grenzen von Sprachen und Kulturen.) Und bis heute sind sie ja auch alle gescheitert, die diese irre Parole in die Welt gesetzt haben: „Die ganze Menschheit hört auf mein Kommando.“ Der Preis für diese Versuche war freilich entsetzlich hoch.
Aber jetzt, am Pfingsttag, hat Gott selber guten Grund, die Vorsichtsmaßnahme von Babel aufzuheben. Nicht zweckfrei und nicht wahllos. Aber wer die Gute Nachricht Jesu, die Nachricht vom Sieg der Liebe, der Gerechtigkeit, des Friedens unter die Leute bringen soll, der braucht Zugang zu den Herzen der Menschen, über die Grenzen von Sprachen, Kulturen und Ideologien hinweg.
Sprechen und verstehen muss klappen, barrierefrei – und natürlich nicht nur im engeren Sinn von Fremdsprachenkenntnissen.
Was Jesus vermochte, die Wahrheit der Herzen zu erkennen und auszusprechen, Antwort zu geben auf die Fragen, für die die Worte gefehlt haben, dazu muss Gott auch die befähigen, die Jesu Botschaft in ihre Zeit und in ihre Stadt tragen sollen. Weniger ist nicht genug.
Quer durch die Bibel sind solche Sendungserfahrungen gang und gäbe. Mose kann nicht sprechen und Jeremia will nicht. Jona macht sich vom Acker. Gott muss ihn regelrecht austricksen, bevor er in Ninive den Mund aufmacht. Und solche Berufungen zum Reden von „Gottes großen Taten“ sind noch nicht einmal auf unsere christlich-jüdische Glaubensheimat beschränkt.
Solche Menschen, die Gott für seine Ziele mit Beschlag belegt, nennt das Neue Testament „Heilige“. „Meins“ heißt das. Nicht so sachlich-neutral, wie der Gerichtsvollzieher seinen Kuckuck auf Wertgegenstände pappt, aber etwa so verbindlich. Nicht so schmerzhaft wie die Rinderzüchter im Wilden Westen, die ihre freilaufenden Tiere unbedingt mit einem Brandzeichen versehen müssen, weil sie sie sonst nicht wiederfinden, wenn sie großen Herden wieder eingefangen und auf die Besitzer aufgeteilt werden.
Oder doch nicht schmerzfrei? Vor wenigen Jahren hatten wir bei uns die Diskussion über das Recht der jüdischen Familien, ihre kleinen Jungen nach alttestamentlichem Gebot zu beschneiden. Was immer Kritiker, vom Kinderarzt bis zum kopfschüttelnden Religionslosen damals vorgebracht haben: diese Anspruchs- und Segensgeste ist für unsere älteren Glaubensgeschwister so unerlässlich, dass nahezu nichts auf der Welt sie davon abhalten kann. „Du bist mein“, heißt das, mit anderen Worten: du bist mir heilig, ein Heiliger. Und wir erinnern uns daran, dass manche untergetauchten Männer und Jungen in der mörderischen Zeit an diesem Merkmal enttarnt worden sind: auch dieser ist einer von „Heiligen“, von denen, die Gott zu seinem Eigentum, zu seinen Bundesgenossen erwählt hat.
Uns Christenmenschen erinnert die Pfingstgeschichte daran, dass unsere weltumspannende Glaubenserfahrung zwei Lebensstationen kennt und bekennt, durch die Gott uns mit Beschlag belegt als seine „Heiligen“. Die eine ist die Taufe, die auf den Dreieinigen Gott, wie wir heute sagen. Bei uns vollziehen wir sie mehrheitlich als Säuglingstaufe. Damit übernehmen Eltern und Paten eindeutig die Pflicht, dem kleinen Menschen das Vertrauen zu Botschaft und Gegenwart Christi vorzuleben. Da beißt keine Maus den Faden ab. Da können Blinde auch schlecht von Farbenpracht reden. Wobei blind zu sein, Schicksal ist und kein charakterlicher Makel. Wichtige Teile der Christenheit setzen deshalb ja auch auf die Mündigentaufe, mit geduldiger Vorbereitung!
Ob irgend einer von denen, die es da packt am Pfingsttag in Jerusalem, zuvor eine Taufe erlebt hat, so wie Jesus selbst durch Johannes am Jordan, wir wissen es nicht! Aber von diesem Morgen geht die andere Tradition aus, in der Menschen beschreiben, dass Gott sie mit Beschlag belegt, ja fast überfallen, sich ihrer bemächtigt hat. Diese Grunderfahrung vom gottgewollten Wendepunkt im Leben hat in den Kirchen, Kulturen, Theologien der Christenheit so viele verschiedene Ausprägungen erfahren, dass die Zeit heute morgen nicht reicht, sie auch nur aufzuzählen. Wiedergeboren, geisterfüllt, persönlich berufen, radikaler Neuanfang. Es sind wahrlich nicht nur unbändige Afrikaner oder, pünktlich zur Fußball-WM, zungenredende Einwohner brasilianischer Elendsviertel in ihren Pfingstkirchen: auch längst in die Heiligengalerien der Christenheit einsortierte Leute wie Franz von Assisi, Martin Luther und ihresgleichen haben Zugriffe Gottes erlebt, die mindestens so besitzergreifend waren wie ihre Taufe.
Die Taufe wird von den Kirchen verwaltet, gespendet, heißt es manchmal ziemlich steif. Der Heilige Geist dagegen tobt durch die Geschichte und packt sich, wen er will. Nicht selten trifft er eine Wahl, die Kopfschütteln auslöst. Warum muss es ausgerechnet der Christenfeind Saulus von Tarsus sein? Warum hier ein Ex-Junkie und dort ein Ex-Knacki?
In der Gemeinschaft der Heiligen treffen wir lauter Leute, die nicht auf DIN-Format zurechtgeschliffen sind. Und zwar querbeet durch die Kirchengeschichte. Ja, darauf haben wir uns geeinigt. Diese Gemeinschaft der von Gott am Schlafittchen Gepackten ist nicht nur erdumspannend, sondern auch zeitlos. Alle, von denen wir Zeugnis haben, von Noah bis zu den baptistischen Frauen, die heute im Kongo Kinder vor Mördern und Entführern schützen, sie alle gehören dazu. Von der „Wolke der Zeugen“ sprachen wir früher, wenn es um darum ging, was der Glaube kosten kann. Im Zeitalter der „Cloud“, Wolke im Internet gewinnt dieser alte Ausdruck ganz neuen Reiz.
Die Gemeinschaft der Heiligen gluckt nicht beisammen. Auch das zeigt die Pfingstgeschichte. Der Misthaufen, so lernten wir in der Dorfschule, nützt höchstens dem Hahn. Wenn er darüber hinaus für etwas gut sein soll, muss der Bauer ihn verteilen, schön gleichmäßig. Die erste Streuwirkung jener Jerusalemer Gemeinschaft der Heiligen war, der Apostelgeschichte nach zu urteilen, weniger das Ergebnis einer Missionsstrategie, als die Reaktion auf Verfolgungen. Selbst das klappt!
Auch die Gemeinschaft der Heiligen in Diesdorf-Stadtfeld schön gleichmäßig verteilt, dort wo das Leben unserer Mitmenschen spielt, das bleibt ein Konzept für die Zeit, die vor euch liegt.
Gemeinschaft der Heiligen ist Gottlob etwas anderes, als die Gemeinschaft der Kirchen. Die nennen wir im Glaubensbekenntnis zwar zusammengenommen auch „heilig“, also Gottes Eigentum. Aber der nächste Ökumenische Kirchentag 2019 ist beispielsweise gerade abgesagt worden: ein Symptom! Evangelische und katholische Christen haben sich in den KZs der Nazis gefunden, obwohl ihre Kirchen damals noch beschämend wenig voneinander wissen wollten. Diese Erinnerung kann unsere Entschlossenheit stärken, grenzüberschreitend die Gemeinschaft zu leben, die besorgte und ängstliche Kirchen verweigern. Jesus macht mit dabei! Und er ist es, der den Horizont des Glaubens und der Hoffnung noch mehr weitet: so wie die Grenzen der Religionen ihn nicht gehindert haben, Menschen anzuerkennen und zu retten, so hat die Gemeinschaft der Heiligen wohl genug Fassungsvermögen für alle „Menschen guten Willens“.