Herzensschätze

Rogate, 29. Mai 2011

Wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein

(Matthäus 6,21)

Von diesem Gottesdienst führt mein Weg direkt zum Bahnhof. Es geht nach Dresden, zu einem Vorbereitungsseminar mit jungen Leuten, die beim Kirchentag auf der Straße Theater spielen wollen. Ich bin gespannt, ob uns auch zum Motto dieser Tage etwas einfallen wird: „…da wird auch dein Herz sein.“ Ja, das Motto des Kirchentages stammt von niemand Geringerem als von Jesus selbst – nur, dass die Werbeleute seinen Satz halbiert haben „Wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.“ Sechs Worte passen eben besser auf die Plakate als zehn. Außerdem macht dieser ungewöhnliche Halbsatz ja auch ein bisschen neugierig. In unserer Lutherbibel, jüngste Ausgabe, finden wir das Jesuswort ein ganz klein wenig anders wiedergegeben. Jesus spricht in der Bergpredigt vom richtigen und falschen Schätzesammeln. Seine Schlussfolgerung lautet beim Sprachmeister Luther „Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“ Da ist auch dein Herz, Gegenwart! Die Kirchentagsleute haben sich eine kleine, aber bedeutsame Änderung erlaubt: „…da wird auch dein Herz sein.“ Zukunft, denn eines ergibt sich aus dem anderen. So wahr jede Übersetzung eine Deutung ist, diese ist es wert, bedacht zu werden. Und Luther wird es uns nicht verübeln.

Aber erst einmal: was ist das denn, mein Herz – mein Herz in des Wortes weiterer Bedeutung? Also nicht der Hohlmuskel links in unserer Brust, der seine Arbeit im wenige Tage alten Embryo beginnt und vor oder nach dem Hirntod beendet. Dieses Herz, von dem wir sagen, es könne sich als kalt, warm, groß, mutig, eng oder weit erweisen. Dieses Herz mit den vielen Eigenschaften, es geht nicht auf in der Natur, der Natürlichkeit, die ich teile mit allen Geschöpfen, die im Prozess der Evolution aus der Hand Gottes hervorgegangen sind. Da ist kaum etwas an Prozessen und Organen des Lebens, was exklusiv menschlich wäre – bis hin zum Ich-Bewusstsein, dessen Entfaltung auch Teil der Evolution ist. Herz, so wie Jesus es meint, ist mehr als Säugetier-Biologie. Es ist auch mehr und mächtiger als Verstand und Vernunft. Beide sind Gaben Gottes, wer wollte daran zweifeln? Welche Christin, welcher Christ wollte die Zukunftsfragen der Menschheit bedenken und Konsequenzen ziehen ohne Verstand, ohne Vernunft? Kein soziales Problem unseres Alltags, keine Siege über den Hunger, keine schöpfungsfreundliche Energieversorgung, keine Kontrolle des Klimawandels ohne Einsatz von Verstand und Vernunft; wobei die Vernunft mit Maß in die Tat umsetzt, was uns der Verstand erkennen lässt.

Herz meint aber mehr, anderes. Dieses Herz tut seinen Dienst nicht von allein, so wie der Hohlmuskel, mit dem es die Bezeichnung teilt. Diese Doppelbedeutung des Wortes Herz gibt es in allen Sprachen, mit denen ich zu tun hatte: heart, coeur, corazon, was ihr wollt. Das Herz, von dem Jesus spricht, ist verderbbar und verführbar – so wie auch Verstand und Vernunft verderbbar und verführbar sind. Die großen und die kleinen Untaten, unsere und die der anderen, sie mögen im Herzen wurzeln. Aber zur bösen Tat werden sie in der Regel mit Hilfe einer großen Portion Verstand. Entgegen der Krimi-Weisheit: das „perfekte Verbrechen“ wird Tag für Tag unzählige Male begangen. Unsere Herzen, von denen Jesus spricht, sind keine Sache von Intelligenzquotienten oder Bildungsabschlüssen. Sie sind die Kompassnadeln unseres Lebens, geeicht nicht nach dem Gesetz des irdischen Magnetismus: immer Richtung Nord, hundertprozentig! Die Kompassnadel „Herz“ ist leicht abzulenken. Und, erinnert uns Jesus, das Herz nimmt ungleich mehr Einfluss auf unsere Lebensentscheidungen als der ratsuchende Blick auf eine Kompassnadel. Der muss keine praktischen Konsequenzen haben. Aber der Impuls unseres Herzens setzt sich durch, fast immer. Seine Kursbestimmungen folgen dem, was wir selbst empfangen haben. Beginnend schon vor unserer Geburt: glücklich der Mensch, den seine Mutter, den seine Eltern mit einem liebevollen Herzen ins Leben geführt haben, lange vor unseren ersten Verstandesleistungen. Die Liebe, das Glück derer, die sich freuten, unsere Eltern zu werden, ist ein Geschenk Gottes, die erste segensreiche Prägung unseres Herzenskompasses. Das kann den lebenslangen Unterschied machen zwischen einem mutigen und einem ängstlichen Herzen. Aber wer am Anfang zu kurz gekommen ist, der ist deshalb nicht schicksalhaft für immer zu kurz gekommen. Und ein Start im Segen garantiert noch keine Zielankunft im Segen.

Lang ist die Bildergalerie allein der Menschen, deren Kompassnadel nach der Begegnung mit Jesus von Hoffnungslosigkeit auf Vertrauen umgesprungen ist. Aus kaltherzig konnte großherzig werden, wie bei Zachäus; aus Engherzigkeit der Not wird immer wieder die Weitherzigkeit der Befreiten. Die Leute, die sich nicht bremsen lassen, von ihrem neuen Lebensglück zu reden. Das Leben, solange es währt, ist eine Zeit gottgeschenkter Kurskorrekturen. Zu Zeiten Jesu und nicht anders heute. Darum, meint Jesus, gib nicht auf! Klopfe an, damit Gott dir öffnen kann! Aber lass dich auch nicht verführen von den Mächten, die den Herzenskompass verhängnisvoll verstellen können. Sich solchen Kursen auf Klippen und Untiefen aussetzen, das nennt Jesus in anderen Zusammenhängen Sünde und Schuld. Da geht es nicht um die einzelne Tat, sondern um den verhängnisvollen Kurs, der uns von der Lebensgemeinschaft mit Gott wegführt. Der Kurs an sich ist das Verhängnis. Die Klippen liegen dann nur auf dem Weg.

Der verhängnisvolle Herzenskurs, mit gröberen Worten „der Weg zur Hölle“, ist also nicht mit guten Vorsätzen gepflastert, wie Bernhard Shaw sagte. Jesus spricht im Zusammenhang des Kirchentagsmottos eher von dem, was die amerikanische Unabhängigkeitserklärung das „Streben nach Glück“ nennt, das jedem Menschen als Gabe des Schöpfers innewohnt. Wohlgemerkt nicht das Glück selbst, sondern das Streben danach! Dein Streben nach Glück ist anfällig für Irrtümer. Dein Streben nach Glück ist nicht verwerflich, nein. Aber es führt dich auf den Kampfplatz der Versuchungen. „All das will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest!“ Herr über das Brot könntest du sein, Herr über die Gesetze der Schöpfung, Herr über die Reiche der Welt – egal, ob es sich um das winzige Reich einer Familie handelt oder um eine der größeren oder riesigen Machtzusammenballungen. Bei deinem Streben nach Glück, sagt Jesus, wirst du mit diesen Kompassverderbern zu tun bekommen. Sei gewarnt! Niemand kann zwei Herren dienen. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon! Beide versprechen dein Lebensglück, mit Jesu Worten der eine, mit großartigen Parolen der andere.

Fällt es euch auch auf, so wie mir? Wenn es wirklich ernst wird, dann redet Jesus nicht so wie die christlichen Erzieher, die sich an mir versucht haben: da waren die angeblich schrecklichen Lebensklippen der Sexualmoral, da waren die jugendlichen Ungehorsamsdelikte und dergleichen mehr. Das waren die Sünden, deretwegen wir rote Ohren bekommen sollten. Damals war mir z.B. die grandiose Gelassenheit Jesu beim ausgefallenen Gericht über die sog. „Ehebrecherin“ noch nicht vertraut. Ich kann mich nicht erinnern, dass Jesu bitterernste Warnungen vor dem, was wirklich vom gottgewollten Lebenskurs wegführt, eine Rolle gespielt hätten: vor dem Mammon, der uns von unseren Nächsten trennt, so wirkungsvoll wie kaum etwas anderes; vor der blutigen Gewalt, die ihresgleichen hervorbringt; vor den Untaten an Kindern und den Schicksalsgenossen des armen Lazarus, weil sie ins Verderben führen.

Pursuit of happiness, Streben nach dem Glück – die frommen Unabhängigkeitsverkünder der späteren Weltmacht USA haben gewiss keine Irrlehre in die Welt gesetzt. Dafür waren sie allemal zu bibelfest. Auch wenn ihr Bekenntnis Generationen später zu zügellosem Gewinnstreben und Rechtfertigung von Machtgelüsten missbraucht worden ist. Viele von ihnen werden imstande gewesen sein, auswendig herzusagen, wie Jesus grundsätzlich Schätze aufteilt: Schätze auf Erden, Hochrisiko-Schätze angesichts von Verfall und Raub – und Schätze im Himmel, von Gott selber sicher gemacht und für uns aufbewahrt.

Schätze im Himmel, sie sind ein Vermögen auf Erden. Weil sie den Herzenskompass auf Lebenskurs halten, auf Gemeinschaftskurs mit Gott und unseren Nächsten. Der Schatz im Himmel, er gibt uns Standsicherheit in irdischen Konflikten. Er ist alles andere als der Wegweiser in innere Emigration. Jesus ist der lebende Beweis – und nicht nur er, sondern viele, die in unserer Zeit auf seine Schatztrennung setzen. Das Portfolio unserer Herzensschätze – Jesus rät und macht Mut: Die faulen Schätze regelmäßig aussortieren!

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