16. Sonntag nach Trinitatis , 27. September 2009
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternisund nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag. Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, die da scheide zwischen den Wassern. Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und es geschah so. Und Gott nannte die Feste Himmel. Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag.
Genesis 1, 5-8)
Sie wird uns durch die kommende Adventszeit begleiten, Tag für Tag: die Weltklimakonferenz in Kopenhagen. Ich bin überzeugt: die wichtigste internationale Konferenz zu meinen Lebzeiten. Ich bin 70 Jahre alt. Als ich ein kleiner Junge war, legten Konferenzen die Weltordnung nach der Befreiung vom Hitler-Faschismus fest: Jalta, Potsdam. Die UNO wurde gegründet und mit ihr das Regelwerk der Menschenrechte. Weniger bekannt: die Welt-Finanzordnung, die bisher galt, bekam damals im amerikanischen Bretton Woods ihren Rahmen. 1970 trat der Nichtverbreitungsvertrag für Atomwaffen in Kraft, mit großen Schwächen, aber immerhin. 1995 entstand die Welthandelsorganisation WTO. An ihr haben die Kirchen in aller Welt erhebliche Kritik. Denn sie entpuppt sich als eine Ordnung der wohlhabenden Nationen zu Lasten der Armen – bis hin zu den Hungernden. Konferenzen, Entscheidungen, die unser Leben geprägt haben – und manchmal wissen wir es gar nicht.
Die Weltklimakonferenz, mit einem konstruktiven Ergebnis oder mit ihrem drohenden Scheitern, wird alle diese Meilensteine der Zeitgeschichte in den Schatten stellen. Kein Mensch auf Erden, keines unserer Kinder und Enkel, die nicht irgendwie von den Folgen betroffen sein werden. Die Atmosphäre, der Wind, die Wasserkreisläufe, CO2, Methan oder Ozon kennen keine Grenzen, die sich mit Waffengewalt absichern ließen. Es gibt keine Inseln der Seligen, wenn wir der Schöpfung unheilbaren Schaden zufügen.
Wir sollten in Erinnerung behalten, dass die Bewahrung eines Erdklimas, das dem Leben von sieben Milliarden Menschen zuträglich ist, im zurückliegenden Wahlkampf absolut keine Rolle gespielt hat. Damit kann man uns Wählerinnen und Wählern nicht kommen, so haben die Berater der prominenten Politiker geurteilt und das Thema, so vermute ich, gesperrt. Arbeitsplatz und ein Einkommen, von dem du leben kannst, sind wichtiger. Natürlich sind sie wichtig! Aber was kommt danach? In wenigen Jahrzehnten, spätestens wenn unsere Konfirmanden und Abiturientinnen auf die Rente zu gehen? Nein, trotzdem Mund halten, wenn du am 27. September 2009 eine Wahl gewinnen willst.
Einen eigenen Standpunkt in den Gewissensfragen der Zeit gewinnen wir Christenmenschen, wenn wir uns an die Bibel halten. Das gilt seit jeher auch für die Fragen, vor denen die, die uns die biblischen Texte überliefert haben, zu ihrer Zeit nicht gestanden haben. Klima als globales Naturgeschehen, aufs Feinste vernetzt in Ursachen und Wirkungen, davon konnten sie nichts wissen. Aber sie wussten alles über die Treue Gottes, die unser Leben und alles Leben trägt. Der Schöpfer tut alles dafür, dass diese Erde der Ort wird, an dem das Leben blühen und gedeihen kann. Nicht als Schlaraffenland, nicht ohne mühselige menschliche Arbeit. Aber auf unserer Arbeit liegt Segen. Erntefeste sind von Anfang an Gottesdienst.
Unsere Erde hat eine wüste, eine lebensfeindliche Vergangenheit. Das sagt der erste Vers der Bibel. Das sagt nicht anders die erdgeschichtliche Forschung. Gott arbeitet an dem Rohling, dem ungeschliffenen Diamanten Erde. Wir Augenwesen sind davon überzeugt, dass da zuerst Licht vonnöten war, am ersten Schöpfungstag. „Es werde Licht – und es ward Licht“. Aber Licht allein schafft noch kein Vertrauen zum Leben. Ein Gefängnishof, ein Todesstreifen können grell ausgeleuchtet sein. Und das sind dennoch Orte, wo wir beileibe nicht sein möchten. Das Licht der Morgensonne, womöglich nach einer Nacht mit schlechten Träumen ist von ganz anderer Art als die Scheinwerfer. Es schenkt ganz von allein eine Portion Hoffnung und Mut – selbst vielen, die schwer krank sind. Ich bin noch im Leben. Es sind noch Menschen da. Gott kann noch etwas tun mit mir. Das Licht der Geborgenheit, es leuchtet über einer Erde, auf der der Schöpfer Geborgenheit erst möglich macht. Das ist die Botschaft der Himmelsfeste.
Sie ist das Werk des zweiten Schöpfungstages – und das einzige aus dem Kreis der Schöpfungswerke, das sich im naturwissenschaftlichen Weltbild nicht in einer Eins-zu-Eins-Entsprechung wiederfindet. Die Existenzfrage, die die Alten bewegte, war ja: wie kommt es, dass wir, umgeben von übermächtigen Naturgewalten, auf Erden dennoch sicher leben? Die Frage, die wir seit wenigen hundert Jahren beiseitegeschoben haben. Wir bilden uns ja ein, die Natur im Griff zu haben. Aber die Frage ist längst in unsere Herzen zurückgekehrt. Wir sind zwar davon überzeugt, dass uns der Himmel nicht sprichwörtlich auf den Kopf fallen kann – als finale, unbedingt tödliche Bedrohung. Aber alles Gute kommt auch nicht mehr von oben. Das Angstwort „Klimakatastrophe“ steht dafür.
Wir rechnen nicht mit einer durchsichtigen Barriere über unseren Köpfen, die himmlische Ozeane davon abhält, das Leben auf Erden zu ertränken. Unsere Himmelsfeste, wunderbar und völlig unentbehrlich für alles, was lebt – wir nennen sie die Erdatmosphäre. In kosmischen Dimensionen unglaublich dünn, wie hingehaucht auf unseren Planeten. Dabei Schutz bietend vor den tödlichen Auswirkungen des uns umgebenden Alls, aber durchlässig für das Sonnenlicht, von dem wir leben, und bis vor wenigen menschlichen Generationen auch mühelos imstande, die Kreisläufe des Lebens zu regeln. Selbst eine gewisse Festigkeit ist diesem Gasmantel eigen: verglühende Meteoriten, aber auch das Risiko heimkehrender Raumfähren zeugen davon.
Unsere vom Atem des Schöpfers hingehauchte Himmelsfeste, die Erdatmosphäre. Ihre Unentbehrlichkeit ist uns in wenigen Jahren mindestens so klar geworden, so unter die Haut gegangen, wie unseren Vorfahren der Gedanke an die Himmelsfeste. In ihr erkannten sie die Treue Gottes, gemäß dem Weltbild ihrer Zeit. Damit geben sie unserem Glauben die Richtung. Aber wir müssen begreifen, dass Gottes Wunderwerk nicht unzerstörbar ist. Wir Menschen sind nicht auf die Schöpfung losgelassen wie der Löwe auf das Zebra. In der Paradiesgeschichte hören wir als unabänderliche Richtlinie: „Gott setzte den Menschen in den Garten Eden, damit er ihn bebaute und bewahrte.“ Dies Gebot verlangt Kreisläufe statt Raubbau. Nur so viel nehmen, wie wieder werden kann. Nur so viel aufbürden, wie die Himmelsfeste an Lasten tragen kann.
Ich habe die Schule mit einer Fünf in Mathematik verlassen. Aber die Rechnung ist so einfach, dass auch ich sie begreife. Leben wir weiter, wie wir´s alle miteinander tun in diesem Teil der Welt, dann brauchten wir vier Erden, um die Hinterlassenschaften unseres Lebensstils irgendwo abzuladen. Wir haben aber nur die eine. Weitere stehen nicht in Aussicht. Käpt‘n Kirk und seine Kollegen werden uns nicht helfen können. Wenn ihr´s mir nicht glauben wollt, dann setzt euch zusammen mit Eurer neuen Pfarrerin – aber rechtzeitig. Redet miteinander, betet und arbeitet. Denn wir müssen in wenigen Jahren lernen, der Schöpfung höchstens noch ein Fünftel dessen zuzumuten, was wir ihr heute an Lasten aufbürden, maximal zwei Tonnen CO2 pro Christenmensch statt gegenwärtig zehn. Schwierig bei einem Produkt, das so unanschaulich ist, das noch niemand von uns in der Plastiktüte nach Hause getragen hat.
Reden, beten, arbeiten – sehen, urteilen, handeln. Unsere Gemeinden, diese Gemeinde ist der richtige Ort dafür. Denn die Menschen in unserem Teil der Welt brauchen Orte des Vertrauens. Orte der Hoffnung darauf, dass die Umkehr zum Leben gelingen kann. Wir brauchen die Alternative zu dem grässlichen Motto: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot.“ Unsere Voraussetzungen sind die besten. Denn unser Glaube sagt uns längst, worüber die Politik noch erbittert streiten wird: dass alle Menschenkinder unserem Gott gleich wichtig und wert sind. Erinnern wir uns des Volkes Israel in der Wüste, als es lebte vom Manna. Da versuchten manche zu horten. Und was zu viel war, vergammelte ihnen über Nacht. Im Volk Gottes gab es keine Sonderrechte. Dem Bild der gierigen Manna-Sammler steht das Bild vom Ufer des Sees Genezareth gegenüber. Von Wenigem, viel zu Wenigem, wie es schien, sind Abertausende satt geworden. Im Vertrauen auf Jesus konnten die Jünger etwas beisteuern, was wirklich zählte. Was wir beisteuern können zu Gerechtigkeit und Frieden – zur Bewahrung der Schöpfung, von der das Leben abhängt, wie wir es kennen – das entdecken wir erst dann, wenn wir Jesus, wenn wir das Evangelium beim Wort nehmen. Wobei das Wort unseres Gottes notorisch unterschätzt wird. Eigentlich erstaunlich, 20 Jahre nach der friedlichen Revolution in Deutschland.
Schicksalhafte Weltklimakonferenz im Advent 2009. Gelegenheit für jede Gemeinde, bei sich selbst anzufangen. Alle entscheidenden Fragen sind gestellt: Umgang mit Energie, mit unseren Gebäuden, unser Beschaffungswesen usw. Die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ unserer evangelischen Hilfswerke, dazu eine nagelneue Denkschrift des Rates der EKD, Studienmaterial für Gemeindekirchenräte und Gruppen – alles liegt auf dem Tisch. Beschäftigung damit ist Christenpflicht. Aber alles bleibt nichts, wenn wir den Schatz ungenutzt lassen, den die Bibel uns schenken will: das Vertrauen zu dem Gott, dessen Himmelsfeste alle schützt, die leben wollen – ohne Unterschied und Vorrechte. Und den Blick auf Jesus, der uns zeigt, dass an Gottes Tisch Platz und Brot für alle ist.