2. Sonntag nach Weihnachten, 4. Januar 2009
„Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“
(Lukas 18,27)
Allmacht, eine Kinder-Phantasie, die vorübergeht. In der Welt der Erwachsenen allenfalls noch präsent in Gestalt von superman und seinesgleichen – meinetwegen auch als irrer Wissenschaftler, vor dem James Bond die Menschheit in ca. 120 Minuten zuverlässig rettet. Furchtbare Konsequenzen hat es, wenn Erwachsene einem Allmachtswahn allen Ernstes frönen können; z.B. als Herrscher, die sich bewaffnet haben mit einer Ideologie zur Rettung der Menschheit – oder der deutschen Herrenrasse. Der einzige allmächtige Mensch, dem wir über den Weg trauen würden – das sind wir selber. Wir würden schon alles recht machen. Aber man lässt uns ja nicht.
Nun sollen wir also ein Jahr lang mit einer biblischen Jahreslosung leben, die die Gedanken auf die Allmacht, genauer gesagt auf die Allmacht Gottes lenkt. „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“ Wir hören das nicht zum ersten Mal. Gott ist allmächtig. Das weiß ich seit dem Kindergottesdienst. Aber spätestens seit der Pubertät weiß ich auch, dass dieser Satz eines der breitesten Einfallstore für den Zweifel an Gottes Güte ist. Wenn Gott allmächtig ist, warum dann der böse Zustand der Welt? Warum dann menschliche Schicksale, die einem das Herz abdrücken? Viele dieser Fragen an Gott bleiben ohne eine erträgliche Antwort und können den Glauben kosten.
Ganz wichtige Teilantworten, wie wir mit dem Gedanken an Gottes Allmacht leben können, hat Gott unüberhörbar selbst gegeben. Am Ende der Sintflut-Geschichte schränkt Gott den Gebrauch seiner Vollmacht unwiderruflich und entscheidend ein: „Ich will künftig die Erde nicht mehr verfluchen um des Menschen willen, wie ich getan habe… Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ Und Jesus wirbt um Vertrauen zu dem Gott, der die Geschichte nicht inszeniert als ununterbrochene Gerichtsshow, sondern seine Sonne scheinen lässt über Gerechte und Ungerechte.
Wir könnten fortfahren mit diesem Unternehmen: Bibelkunde in Sachen „Gott der Allmächtige“. Wir werden immer wieder auf dies Merkmal stoßen: eine verbindliche Gebrauchsanweisung, die Gott sich selbst auferlegt. Seine Allmacht ist eine Allmacht zum Zweck. Eine Allmacht, die Liebe, Versöhnung und Gerechtigkeit zum Siege führen soll – die dennoch bzw. deshalb uns Menschen nicht zu unserem Glück zwingt.
Dem allmächtigen Gott bleibt nichts übrig, als gleichzeitig der geduldige Gott zu sein. Ein Menschenleben lang geduldig wartend auf die Zeichen unseres Vertrauens. Eine Allmacht ganz eigener Art. In den verschiedenen Situationen unseres Lebens zeigt sie ihr dazu gehörendes Gesicht. Darum wird es Zeit, dass wir uns den Zusammenhang in Erinnerung rufen, in dem Jesus den Satz ausspricht, der zur Jahreslosung 2009 geworden ist.
Lesung Lukas 18, 18-27: Und es fragte ihn ein Oberer und sprach: Guter Meister, was muss ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? Jesus aber sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein. Du kennst die Gebote: »Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!« Er aber sprach: Das habe ich alles gehalten von Jugend auf. Als Jesus das hörte, sprach er zu ihm: Es fehlt dir noch eines. Verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach! Als er das aber hörte, wurde er traurig; denn er war sehr reich.
Als aber Jesus sah, dass er traurig geworden war, sprach er: Wie schwer kommen die Reichen in das Reich Gottes! Denn es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher in das Reich Gottes komme. Da sprachen, die das hörten: Wer kann dann selig werden? Er aber sprach: Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.
Darum also geht es: Gott allein hat die Macht, die Fesseln zu zerschneiden, die einen reichen Menschen hindern, das Geschenk des ewigen Lebens zu ergreifen. Ewiges Leben: können wir uns darauf einigen, dass damit in unseren Erdentagen die Herzensgewissheit gemeint ist, dass nichts, aber auch wirklich nichts uns trennen kann von der Liebe Gottes.
Der dramatische Ablauf dieser Begegnung: ein frommer Mensch in verantwortlicher Position; einer wie Kirchen, die in die Gesellschaft wirken wollen, sie sich immer wünschen! Er fragt Jesus allen Ernstes, ohne Ironie, ohne Hinterlist: wie werde ich mit Gott eins in meinem Leben? Jesu ebenso ernsthafte Antwort: der Verweis auf die Zehn Gebote. Immerhin! Die Zehn Gebote, mit ihrer dem menschlichen Zusammenleben zugewandten Seite Wegweiser und Warnzeichen für unser Miteinander – sie sind für Jesus noch viel mehr: ein Weg, auf dem wir dem liebevollen und gerechten Gott näher kommen. Und Jesus ist sich mit seinem Gott einig: die Zehn Gebote verlangen nicht Übermenschliches. Wir können mit ihnen leben. Auch nach Niederlagen immer wieder von neuem anfangen, mit ihnen zu leben. Auch wenn der in den letzten Wochen viel zitierte Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt bekanntlich geknurrt hat, mit der Bergpredigt könne man kein Land regieren. Die Zehn Gebote muss er damit keineswegs mitgemeint haben.
Jesus lässt die Selbsteinschätzung seines Glaubensbruders gelten: „Die Zehn Gebote? Das habe ich alles gehalten von Jugend auf.“ Er hat in Glaubensdingen das Menschenmögliche wirklich getan. Wäre er es nicht selbst, der da fragt – ob Jesus ihm von sich aus geraten hätte, was er ihm nun rät? „Verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen. So wirst du einen Schatz im Himmel haben: und komm und folge mir nach.“ Jesu Rat an einen fragenden Gottsucher, ja; aber eben einen sehr reichen.
Allzu oft kommt das nicht vor: ein Mensch ist nach einer persönlichen Begegnung mit Jesus nicht glücklich, wie viele; er ist auch nicht wütend, erfüllt von heiligem Zorn, wie manche; er ist traurig. Sein Herz sperrt sich, Jesu Einladung anzunehmen. Er müsste zu viel aufgeben, was sein Leben, seine Hoffnungen ausmacht. Wobei er ein verantwortungsbewusster Reicher gewesen sein mag. Sonst hätte Jesus seinen Anspruch, die Zehn Gebote gehalten zu haben, kaum gelten lassen. Und Jesu Reaktion klingt überhaupt nicht wie ein theologischer Lehrsatz. Er klingt wie ein Stück Lebenserfahrung, das ihn erklärtermaßen selbst traurig macht: „Wie schwer kommen die Reichen in das Reich Gottes!“
Ich weiß noch, wie ich als Junge in der überschaubaren Welt unseres münsterländischen Dorfes mit mir selbst zu Rate gegangen bin: wer ist wohl so reich, dass er auf dem Weg in den Himmel wie das Kamel an dem Nadelöhr scheitern muss? Der Großbauer Schulte-Bisping? Der Brauereibesitzer Müller? Oder sogar mein Vater mit seinem kleinen Auto, was damals noch etwas Besonderes war? Wir Evangelischen insgesamt waren trotzdem relativ gut raus. Wir waren ja die armen Flüchtlinge. Und Geschichten vom Geiz der Einheimischen machten auch Jahre nach der Flucht noch die Runde.
Völlig töricht ist meine kindliche Reichtumsanalyse unseres Dorfes wohl nicht gewesen. Denn wir können es drehen und wenden, wie wir wollen: Jesus redet nicht bildlich. Er spricht wirklich von Geld und Gütern. Seinen Zuhörern ist das sonnenklar. Von ihnen hören wir nicht, dass sie gemessen an ihren Mitbürgern reich gewesen wären. Aber der Vergleich von Kamel und Nadelöhr trifft auch sie: Wenn es so ist, wie er sagt „Wer überhaupt kann dann selig werden?“ Auch sie haben Dinge, Positionen, Sicherheiten, an denen ihr Herz hängt. Mit denen sie nicht prahlen, aber auf die sie doch setzen in den Wechselfällen des Lebens. Die Übergänge zwischen normal und reich sind fließend. Wenn sie ihn fragen würden, müssen sie nicht mit derselben Antwort rechnen, wie Jesus sie dem stadtbekannt Reichen gab?
Wenn wir mit Jesus reden auf dem Marktplatz des globalen Dorfes, dann wird für viele von uns schnell ein Schuh daraus. Meine Pension und meine Sparkonten unterscheiden mich selbstverständlich deutlich von manchen Magdeburgern, die Gott genauso lieb sind wie ich. Ich kann auch nicht leugnen, dass diese „Sicherheiten“, wie wir das nennen, in meinen Zukunftsgedanken eine Rolle spielen – und sei es nur die Entlastung meiner Kinder von allzu hohen Pflegekosten. Kann ich mich ganz und gar davon frei machen? Alles der Sorge Gottes überlassen? So wie ungezählte meiner Mitmenschen das einfach tun müssen? Das arabisch-muslimische „Inschallah“, wie Gott will, ist ja nicht nur eine Redensart.
Jesus urteilt realistisch: du kommst aus eigener Kraft nicht los von dem, worauf du baust. Wo deine Hoffnung ist, da ist zum guten Teil auch dein Vertrauen; das Vertrauen, das Gott ungeteilt entgegengebracht haben möchte. Das Nadelöhr ist unpassierbar. Aber „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“ Eine Jahreslosung also für Zuhörerinnen und Zuhörer Jesu, denen es nicht gelingen will, wirklich mit leeren Händen vor Gott zu treten. Und die zu ihrem Trost hören, dass sie sich nichts in die Tasche lügen müssen. Die Allmacht Gottes überwindet die Ohnmacht unseres Herzens, das sich mit dem Loslassen so schwer tut. Gelingendes Leben ist allemal ein Geschenk, unverdient, niemals käuflich – wie Martin Luther erlebte, auch nicht durch ernsthafte mönchische Armutsgelübde. Aber danach, als Beschenkte, als Menschen, die Gott recht sind, so wie wir sind, kann Gott uns führen zu Gedanken und Entscheidungen, die wir uns eigentlich nie zugetraut hätten.