Der Wetterbericht nervt. Für die Woche nach dem 3. Advent verheißt er unserer Region Temperaturen über 10 Grad plus. Da kann ich gar nicht anders, als mich der Kinderjahre auf dem Dorf zu erinnern. Sogar drüben, tief im Westen, hatten Schlitten und die einfachen Schlittschuhe der Nachkriegszeit im Advent Saison. Wir mögen auch laue Dezember gehabt haben. Aber ich weiß genau, dass ich an manchem Dezembertag die Schuhe mit isolierenden Zeitungspapier ausgestopft habe. In der Schulklasse war er ziemlich kalt. Lehrer Diekmann saß im Mantel vor der Klasse.
Soviel zu knackigem Dezemberwetter, wie es uns zusteht, wie es den Glühweinständen in den Innenstädten die Existenzberechtigung verschafft. Stattdessen grauer Oktober Mitte Dezember. Erst auf dem Bildschirm wird es Winter, allerdings zwei Flugstunden entfernt. Nein, ich meine nicht Kiew, wo Hunderttausende ihrer Regierung im Schnee die Leviten lesen. Ohne viel nachzudenken vermute ich, dass diese europäischen Nachbarn in der Ukraine mit einem Normalwinter umgehen können.
Die Winterbilder von gestern abend kommen aus dem Orient, aus dem Nahen Osten, aus Israel, aus Jordanien und dem Libanon. Nach ein paar Bildern von israelischen Straßen sind die Kameramänner in die überfüllten Flüchtlingslager des syrischen Bürgerkrieges gegangen, alarmiert vom Flüchtlingshilfswerk der UNO. Der gelbliche Boden der jordanischen Halbwüste ist überzuckert mit Schnee, der eigentlich nicht hierher gehört. Schlimmer ist die Kälte, die man nicht sehen kann; genauer, die man nur indirekt wahr nimmt, wenn Väter ihre kleinen Söhne anleiten, zusätzlich eine Lage leerer Säcke rund um das Zelt zu befestigen, wenn die Kamera auf den Kanonenofen zoomt – und auf die Familie, die sich um ihn drängelt. Der kommentierende UNO-Funktionär sagt ohne überflüssiges Pathos, dass dieser unübliche Wintereinbruch nach menschlichem Ermessen kaum zu bewältigen sein wird. Leid und Tod sammeln sich vor den Lagertoren.
Simple Wahrscheinlichkeitsrechnung stellt sicher, dass mehr als eine Flüchtlingsfrau am 24. Dezember 2014 in diesen eiskalten Zelten ein Kind zur Welt bringen wird, ohne all die kleinen Wohltaten, die unsere Volksfrömmigkeit der heiligen Familie von Bethlehem zugedacht hat. Es werden Muslimas sein, mehrheitlich. Sie werden kleine Jungen und kleine Mädchen mit ihren Körpern warm zu halten versuchen. Vielleicht ist auch eine Schwangere aus der alteingesessenen christlichen Minderheit Syriens unter den Marias in der Eiseskälte. Jesus rechnet die eine wie die andere unter seine Mütter. Dessen bin ich mir sicher.
Die Winterkatastrophe in den Flüchtlingslagern des Nahen Ostens braucht keine christlich-religiöse Überhöhung, um zu einer Gewissensfrage für die Völker zu werden. Aber ganz praktisch betrachtet hilft vielleicht der Hinweis, dass Deutschlands evangelische Christenmenschen in wenigen Tagen, an Heiligabend, unter dem Leitwort „Brot für die Welt“ wieder ihre wichtigste grenzüberschreitende Kollekte zusammenlegen werden. Aus diesem Topf werden regelmäßig auch teure Maßnahmen der Katastrophenhilfe mit finanziert. Mit Hilfe eines beschrifteten Umschlags kann man sogar ausdrücklich zweckgebundene Spenden für die Flüchtlingshilfe beisteuern.