Die Menschheit kann aufatmen. Heute endlich ist es soweit. Sepp Blatter, der Präsident aller FußballerInnenherzen wird wieder einmal gekrönt, respektive zum FIFA-Präsidenten gewählt werden. Er ist bereit, uns auch sein neuntes Lebensjahrzehnt zu opfern. Uns, den Staatenlenkern, wann immer wir ein paar Fernsehbilder gebrauchen können, die unsere Menschlichkeit, unser Verständnis für die bescheidenen Freuden des gemeinen Volkes dokumentieren. Was gibt es da Preiswerteres als einen Händedruck mit dem Allmächtigen des Fußballs? Aber auch uns, den gewöhnlichen Erdenbürgern. Man stelle sich bloß vor, wir könnten uns hienieden nicht von Quali zu Quali, von EM zu EM, von WM zu WM hangeln? Was wäre mein eigenes Erdenwallen, fände es nicht Halt zwischen den Ruhmessäulen von Bern 1954 und Rio de Janeiro 2014?
Endlich, das darf ich als Internationalist noch hinzufügen, hat die sonst so kujonierte Mehrheit der Völker des Südens mal Stimme und Macht, die Tür in eine glorreiche Zukunft aufzustoßen. Keine G7, keine G sonst was, keine Weltbank, kein IWF, keine EU, kein Weißes Haus stehen dem Glück der Fußballvölker egoistisch im Wege.
Ehe der Sarkasnus mit mir durchgeht: die skrupellose Machtbesessenheit dieses Alten, das Format seiner Scheuklappen, sind schon eine Beleidigung für unsere Generation. Vergreiste Diktatoren sind ein Kreuz. Lebenskluge alt gewordene Frauen und Männer, die den Jüngeren als Zuhörende und Ratgebende zur Verfügung stehen, sind oft ein Segen. Sollen die Staatsanwälte herausfinden, ob Sepps FIFA noch zukunftsfähig aus ihrem hausgemachten Korruptionssumpf herausgezogen werden kann oder ob sie besser einer unbelasteten Vereinigung Platz macht.
Mit den Denkwürdigkeiten meines Fußballlebens hat diese Geldverteilungsmaschine, diese Schacherinstitution kaum etwas zu tun.
Ich denke stattdessen an das ziemlich rüpelhafte Gebolze einer Horde afrikanischer Jungen. Genau so leidenschaftlich bei der Sache wie wir seinerzeit auf dem Schulhof im Münsterland. Nur mit dem Unterschied, dass diese Jungen beim Spiel nebenbei den geschickten Umgang mit ihren Prothesen übten: Minenopfer!
Ich denke an eine Museumsvitrine, in der zwei Dutzend do-it-yourself-Fußbälle aus drei Erdteilen zu sehen waren; hergestellt aus allem, was fußballbegeisterten Kindern an Abfallstoffen gerade in Hände gefallen ist. Die kreative Alternative zur wirklich etwas hinderlichen Coladose.
Ich denke an die buchstäblich Leben rettenden Fußballmannschaften, die jungen Menschen einen Notausgang bieten aus der Terrorherrschaft von Kriminalität, Drogenmafia und sexualisierter Gewalt. Viele Partner unserer Kirche haben erfolgreich innovative Fußball-Programme gestartet, dort, wo sich kein Polizist mehr hin traut, in den verlorenen Vierteln lateinamerikanischer und afrikanischer Städte. Da wird mehr gelernt als Abwehrverhalten oder Passgenauigkeit. Die Konzepte emanzipatorischer Fußballpädagogik haben sich längst als kostbarer Schatz erwiesen.
Ich denke an Helmut Piontek. Ich war Vormund des behinderten Mannes. Sein Selbstbewusstsein blühte auf, wenn er seine Werkstattschürze umgebunden, sich als Torwart den taktisch noch recht unbeholfenen Angriffen meiner kleinen Söhne entgegen stellte.
Ich denke an all die Initiativen, die dem Giganten FIFA die Ausbeutung von Kindern und Erwachsenen in der globalen Sportartikelindustrie unter die Nase reiben: Bälle, billig produziert durch den Mitnahmeeffekt von Kinderarbeit. Schuhe und Trikots in Weltmarktfabriken gegen Hungerlöhne hergestellt. Einige Erfolge hat es gegeben. Das meiste ist noch nicht erreicht. Blatters FIFA kann bequem auf ihre Unzuständigkeit verweisen und reagiert höchstens, wenn das Image ihrer eigenen Turnieren allzu kräftig angekratzt wird.
Die Kumpanei der FIFA mit ein bisschen Krieg führenden Autokraten und Ölkönigen in Moskau und Katar hat mit dem Sport kaum noch zu tun. Aber kein Fan kann diese Kumpanei der Opfer wegen auf sich beruhen lassen. Wobei deutsche Kritiker machtpolitischen Fußball-Missbrauchs die historischen Fotos unserer Nationalmannschaften beim Hitlergruß nicht aus dem Sinn verlieren sollten.
Bleibt zum Schluss noch die leidenschaftliche These meines ersten Superintendenten. Der meinte, dass ein Besuch seiner Pastoren auf Schalke jeder Sonntagspredigt gut tun würde. Eine Zeit lang haben wir uns daran gehalten. An die FIFA haben wir dabei nicht gedacht.