Seinen Namen weiß ich nicht mehr. Aber der Dorffriseur gehörte zu den Respektspersonen meiner Kindheit. Wann immer es soweit war, bekam ich eine reiche Kostprobe seiner Kunstfertigkeit geboten. Denn wir Kinder hatten zu warten, bis der letzte Erwachsene bedient war. Nachts, im Übergang von der Müdigkeit zum ersten Traum stand er dann wieder vor mir: wie er sein Rasiermesser entschlossen am braunen Lederriemen schärfte, der Herr über Hals und Kinn von Knecht und Bauer, der Virtuose mit Seifenschale und Pinsel.
Keiner der später um mich bemühten Figaros konnte ihm das Wasser reichen, unauffällig Dienstleistende allesamt – vielleicht bis auf Mr. Nelson in der City von Colombo, Sri Lanka. Der Zufall wollte es, dass ich auf Dienstreisen mehrfach seiner Dienste bedurfte. Auch er schnitt nur Haare, das aber unter einem leichten Tropenregen von Duftwässerchen, die er nahezu in Minutenabständen um mich herum verspritzte.
Nach Mr. Nelson hat dann meine Frau die Sache in die Hand genommen. Seit reichlich 30 Jahren tut sie nun in unserer Küche, was eigentlich Profiangelegenheit ist.
So fügte es sich, dass ich den sozialen Skandal rund um die Ausbeutung angestellter Friseusen und Frisöre das halbe Erwachsenenleben lang nur über das Medienecho mit bekam. Man muss wohl lange suchen, um einen zweiten Meisterberuf zu finden, in dem Frauen und Männer nach bestandener Gesellenprüfung für derartige Hungerlöhne malochen mussten. Bei uns im deutschen Osten hat es wirklich und wahrhaftig Betriebe gegeben, denen ihre Leute weniger als die Hälfte des künftigen gesetzlichen Mindestlohnes wert waren. Aus nackter Not, klagen die Chefs und Chefinnen.
Aber jetzt soll es ja besser werden, in Trippelschritten wenigstens. So denkt der Bürgersmann in seiner Froschperspektive – und überlegt erleichtert, wie er vielleicht Flüchtlingen ein nützlicher Nächster sein könnte, oder anderen Leuten, die nicht auf politische Weichensteller von der Berliner GroKo zählen können.
Ich hätte besser abgewartet. Seit Tagen leuchtet über uns allen ein Feuerwerk wohl formulierter Besorgnis über diesen Gemeinwohl schädigenden Mindestlohn für Friseusen und ihresgleichen. Ein geschicktes Ping-Pong zwischen Verbandsfunktionären und Politikern, denen die ganze Gerechtigkeitsmasche nicht passt. Vielleicht lässt sich das Projekt unter Hinweis auf die roten Bremslichter der Konjunktur ja doch noch gleich mit ausbremsen.
Markt ist schließlich Markt – das andere regelt Hartz IV. Die Friseuse soll halt etwas kecker mit den Augendeckeln klimpern, dann klappt´s auch mit dem Trinkgeld. Ein Fünkchen Patriotismus täte ihr auch gut. Dann wäre sie von selbst darauf gekommen, dass allein das Gerücht von einem anrollenden Mindestlohn-Tsunami die Seelen unserer Wirtschaftsbosse so malträtieren muss, dass sie konsequent jeder Investition abschwören und sich an Muttis Schürze in Berlin ihre Angsttränen abwischen. Wo kämen wir hin, wenn wir unsere schlagkräftigste wirtschaftliche Geheimwaffe, unseren einmaligen Billiglohnsektor, für ein paar Häppchen Sozialromantik aufs Spiel setzen würden?
Keiner der medienpräsenten Bedenkenträger verfällt öffentlich in diesen Rüpelton. Aber beim harten Kern, beim Menschenbild, treffen wir uns wieder. Ende 2014 scheint unverändert gesellschaftlich ehrbar und ehrenwert zu sein, die sozial Schwächsten unserer Gesellschaft abzuschütteln, wie ein stolzes Ross die lästigen Fliegen. Wenigstens können wir´s mit reichlich Pseudo-Objektivität ja mal versuchen!
Schade, dass der sachverständige Herr Professor Dr. und der knallharte Herr MdB keine Schwiegertochter haben, die sich in einer thüringischen Kleinstadt auch künftig besser ohne Mindestlohn durchs Leben schnibbeln soll. Das würde helfen! 15.11.14