Eigentlich ist der Umzug ja beschlossene Sache. Ins Brandeburgische soll es gehen. Nicht morgen, auch nicht übermorgen. Aber auch nicht am Sankt Nimmerleinstag.
Als wir unsere Unterschriften beim künftigen Quartiergeber geleistet haben, waren wir noch einfältig-frohgemut. Letztes Jahr waren die Zeitungen ja auch noch nicht voll von Horrorstorys über entlaufene Kängurus und unberechenbare Wölfe, die dabei sind, unsere Hauptstadt einzukreisen und das allgemeine Lebensrisiko im Lande Brandenburg in ungeahnte Höhen zu jagen. Inzwischen sind wir gewarnt.
Wir haben uns diskret beraten, mit Tierkennern und den Herren Jacob und Wilhelm Grimm. Die Leute vom Zoo haben glaubhaft versichert, dass die Hüpfer aus Down Under nicht auf unsere Veranda drängen werden und sowieso schlechte Karten haben. Und die Neu-Brandenburger Wölfe? Die Wächter über unseren Märchenschatz waren angesichts unserer ängstlichen Fragen doch etwas befremdet: ob wir denn vom Rotkäppchen nicht gelernt hätten, dass Begegnungen zwischen Mensch und Wolf am Ende immer für den Wolf schlecht ausgehen?
So haben wir alles beim Alten gelassen und unsere Verträge nicht gekündigt. Bis jetzt! Jetzt allerdings schüttelt mich der Zweifel. Die Wohngenossenschaft will meine Unterschrift unter eine neue Klausel über „Bibergerechtes Verhalten.“ Sie haben richtig gehört: es geht um diese 20-Kilo-Brocken, die sich zu Zeiten der Ahnen landesweit und ungefragt in das Geschäft von Bauern, Fischern, Müllern eingemischt haben. Wo es ihnen passte, haben sie für ihren Komfort rücksichtslos kompakte Dämme gebaut und, ohne dafür zu bezahlen, massenhaft Uferbäume gefällt.
Einzig Mönche und verfrorene Grafen konnten den Bibern etwas Gutes abgewinnen. Die Mönche den Schwanz, genannt Kelle. Der war ein Kronjuwel der Fastenzeitküche. Denn der ans Wasser gebundene Biber unterlag als Quasi-Fisch nicht dem saisonalen Fleischverbot. Die Fastenregel funktionierte so als Beihilfe zur Beinahe-Ausrottung. Die verfrorenen Grafen hatten es auf das Biberfell abgesehen: 23.000 Haare pro qcm, ungefähr vierzig mal so viele, wie ich sie einmal auf dem Kopf hatte! Der Herr Graf trug seinen Biberpelz einfach so. Ein lebendiger Biber würde sich regelmäßig mit seiner körpereigenen Pflegelotion, dem Bibergeil einreiben.
Jetzt also, lässt man uns wissen, hat es ein Pärchen dieser hartnäckigen Spezies beim Gewässer-Hopping vor die Haustür unserer künftigen Unterkunft geschafft. Und ich darf dort nur einziehen, wenn ich mich bibergerecht verhalte. So ändern sich die Zeiten! Ich erinnere mich noch recht genau der jungen Jahre, als die allerletzten Elbe-Biber Tier für Tier vom DDR-Naturschutz gehütet und mühselig vor dem endgültigen Aussterben bewahrt wurden. Der Zoo Magdeburg war einer der Stützpunkte der Erhaltungszucht. Die alten Bundesländer waren so gut wie biberfrei.
Dass Castor fiber heute außer in den Stadtstaaten wieder überall lebt, ist einem joint venture von Biber und Mensch zu danken: Selbstausbreitung und geplante Wiederansiedlung. Nur ein Teil unserer mit Sicherheit weit mehr als 10.000 Biber sind waschechte Mitteldeutsche, Elbe-Biber eben, Castor fiber albicus. Auch meine potentiellen Nachbarn dürften von diesem Stamme sein. Andere, vor allem im Süden, stammen von importierten Osteuropäern ab oder sogar von den größeren Kanada-Bibern.
Die Biber-Debatte unter den Menschen hat sich indessen gedreht, seit ich sie als Zoologie-Beflissener verfolgt habe. Aus „Rettet den Biber!“ und dem freudigen Willkommen für jedes neue Biberprojekt ist längst der vielstimmige Protest, von Landwirtschaftsfunktionären bis zu Oderdeich-Aufsehern, geworden. Tenor: „Wie viele Biber sind zu viele?“. Manche Jäger gerieren sich inzwischen menschenfreundlich und fordern zusammen mit der Jagderlaubnis auf den bösen Wolf gleich auch noch die Abschusslizenz für die mittlerweile zum Schädling mutierten Biber.
Wahr ist: die letzten Biber sind natürlich nicht in die Gewässer-Lebensräume des 16. oder 18. Jahrhunderts zurückgekehrt, aus denen sie einst heraus gejagt worden sind; weder was die Qualität noch was die Ausmaße dieser Biotope angeht. Kein Biber, Jahrgang 1650, hätte es nötig gehabt, Kessel und ggf. Damm 100, 200 Meter entfernt von einem menschenreichen Wohnquartier anzulegen. Der Biber wird zwar von uns als tierischer Baumeister gerühmt. Aber das macht ihn bis heute nicht zum Kulturfolger, wie Rotfuchs und Wildschwein.
Die Schlüsselfrage des Artenschutzes bleibt der Biotopschutz. An dieser Frage scheiden sich nach biologischer Zwangsläufigkeit beiderseits die Geister, bei Menschen, wie bei Bibern.
Wenn´s die Biberfamilie denn zufrieden ist, soll es an mir nicht liegen. Ich bin gern bereit, den Kindern meiner künftigen Nachbarn die eine oder andere Bibergeschichte zu erzählen. Wenn die Biber ihrerseits mit einem von Menschengewusel erfüllten Seeufer zufrieden sind, werde ich angenehm überrascht sein.