Ich soll mich für ein „Öko-Faires Gotteshaus“ stark machen, drängt die Broschüre einer Nichtregierungsorganisation, die sich unter Christenmenschen großer Wertschätzung erfreut.
Im alltäglichen kirchlichen Management sprechen wir freilich nicht vom „Gotteshaus“, sondern von unserer Kirche. In meinen Kinder- und Jugendjahren nach 1945 war die eigene Kirche der Traum, das heiß ersehnte Ziel tausender christlicher Gemeinden. Ich weiß nicht, wie oft ich die frommen Aufmärsche zu Grundsteinlegungen, Richtfesten. Kirchweihen mit erlebt habe. Folglich sind in West-Deutschland in den Nachkriegsjahrzehnten mehr Kirchen gebaut worden, als in den reichlich 400 Jahren von der Reformation bis zum Nazistaat. Ihre Einrichtung und der Unterhalt waren eine Frage des Geschmacks und des Geldbeutels der Gemeinden. Ökologisch? Fair? Fragestellungen, so unbekannt, wie Amerika vor der Reise des Kolumbus! Den Posaunen-umtönten Kirchweihgemeinden fehlte ja so gar die Ahnung von Näherliegendem: dem totalen Erosionsprozess der christlichen Volkskirchen in den kommenden Jahrzehnten, dessen Zeitzeugen und Betroffene wir sind – auch wenn es gilt, überzählig gewordene Kirchen abzugeben und die anderen vielseitiger und kostengünstiger zu nutzen. Des lieben Gottes überteuerte Wochenendhäuser sind zum Problem mutiert.
Wochenendhäuser, nur noch je einmal monatlich genutzt, das sind auch die beiden denkmalgeschützten Kirchen in unserem Großdorf. Die Gründe liegen im ländlichen Sachsen-Anhalt auf der Hand. Sie sind nicht ehrenrührig. Aber Gotteshäuser im ursprünglichen Sinn sind St. Peter&Paul und St. Stephanus seit Jahr und Tag nicht mehr.
Der Begriff verdankt seinen Lebenskraft der Tradition des Tempels in Jerusalem. Demnach hat Gott in souveräner Entscheidung einen Ort gewählt, wo er unter und mit seinem Volk leben will, Tag für Tag, in täglicher Begegnung. Die verwirrende Fülle der Bau- und Ausstattungsvorschriften, der rituellen Gesetze, die einem bei der Bibellektüre begegnen, hat nur den einen Zweck, die tatsächliche alltägliche Nachbarschaft von Gott und Volk möglich und gefahrlos zu machen.
Die christlichen Kirchen haben dies Gotteshaus-Verständnis von dem Tempel Israels übernommen. Bis in unsere Tage hinein waren Kirchen alltägliche Orte der Gottesbegegnung, von Montag bis Sonntag. Gottesdienste, Messen waren dabei immer nur ein Teil des Geschehens und nicht unbedingt der umfangreichste. Das galt für St.Joseph, unsere katholische Dorfkirche. Erst recht für St. Michael, unser erstes evangelisches Mehrzweck-Gemeindehaus, Baujahr 1950. Gottesdienste mögen dort gute 10% der Events ausgemacht haben. Stühlerücken war Alltag, wenn eine Gruppe der anderen auf den Füßen stand; wenn Frauenkreis, Tischtennisturnier, Tanzabend und Konfirmandenunterricht sich drängten. Häufig verschwanden Altar-Klapptisch und das Kreuz darüber hinter einem bodenlangen Vorhang, als hätte der Himmel etwas an dem kommerzfreien Freizeit-Programm lange vor dem Disco-Zeitalter auszusetzen gehabt. Eine vergleichsweise Öko-Faire Raumnutzung, möchte man meinen –
auch wenn ich die unübertroffenen Meister diesbezüglich erst Jahrzehnte später in Afrika uns Asien kennengelernt haben: einfachste Hüttenkirchen im Kongo oder Südindien, aus lokalen Baustoffen von den christlichen Dörfler selbst errichtet. Der größte Luxus sind ein paar Wellblechplatten auf dem Dach. Aber unter dem Dach brummt das Leben: selbst organisierter Schulbetrieb, Frauenbildung, Workshop über Latrinenbau; Training für Landarbeiter-Gewerkschaftler. Was habe ich nicht alles in diesen öko-fairen Gotteshäusern erlebt. So gar den Wiederaufbau nach schrecklichen Tagen des Bürgerkrieges.
Den Weg zur Hüttenkirche finden die Leute in der Regel zu Fuß. Was sind schon drei oder fünf Kilometer! Allenfalls der Pastor kommt oft mit dem Fahrrad. Sein Verantwortungsbereich umfasst schnell einmal ein Dutzend solcher Kirchenhütten. Sein Terminkalender ist auch in Äquatornähe eng. Freilich, so ganz heroisch kommt mir das nicht vor. Meine Schulwege waren auch nicht viel kürzer. Meine Frau hat die ihren, natursensibel wie sie ist, so gar geliebt. Ja, heute bin ich davon überzeugt, dass der Weg der Christenmenschen zu ihren Treffpunkten ein bedeutsames Statement in Sachen Schöpfung ist: öko-fair oder sträflich gedankenlos 900 Meter mit dem Auto.
Das noch junge Eigenschaftswort öko-fair klingt ein wenig kopflastig. Aber es steht für einen unverzichtbaren Lernprozess. Es genügt eben nicht, ökologisch vernünftig zu beschaffen und zu wirtschaften. Unser Tun und Unterlassen darf Rechte und Menschenwürde unserer nahen und fernen Lieferanten und Dienstleister nicht mit Füßen treten. Theoretisch kann ich wunderbaren Bio-Kaffee für die Meetings meiner Gemeinde einkaufen, ohne nach der angemessenen Bezahlung der Bauernfamilien zu fragen. Der Markt macht solche egoistische nur-öko-Praxis möglich. Wer, wenn nicht die durch Jesu Botschaft vernetzten Kirchen, müssen solchen Egoismus entlarven.
Unvermeidlich kommt man von Hölzken auf Stöcksken, wenn man die Utensilien, die Zutaten, einer genutzten Kirche dem öko-fairen Test unterzieht. Ob ich die Holzart eines überkommenen Altarkreuzes unbedingt zu meiner Gewissensfrage machen muss, weiß ich nicht. Die Beschaffung von Wein oder Traubensaft ist besonders für evangelische Gemeinden mit ihrem höheren Bedarf da schon eine näherliegende Gelegenheit, Flagge zu zeigen. Aber genug der Besserwisserei, was jene Broschüre zum Öko-Fairen Gotteshaus angeht!
Das Wichtigste reibt sie uns ja unter die Nase: es geht um das Haus, in dem Gott und Menschen sich suchen und finden können, das Gotteshaus. Ökofaires-Faires Wirtschaften ist für uns Christenmenschen eine Beziehungskiste, ob es sich um eine Kathedrale aus Sandstein oder eine Kirchenhütte aus Lehm handelt. Raumnutzung, Energieeinsatz und unsere Kirchwege sind wohl die richtungsweisenden großen Drei auf dem Weg zum „Öko-fairen Gotteshaus“. Vieles andere kann unsere Erkenntnis und unser Selbstbewusstsein zusätzlich vertiefen.