Sein Heimatland zu verlassen – in meinem Fall den Lebensraum der Ev. Kirche von Westfalen – hat auch in undramatischen Zeiten seinen Preis. Sicher, es hat sich gelohnt, auf die alten Tage noch einmal eine neue Herausforderung im evangelischen Ostdeutschland anzunehmen. Aber die vertrauten und verlässlichen Kontakte, in 40 Jahren gewachsen, verkümmern, vertrocknen gleichzeitig unvermeidlich. Nur einige Postverteiler nähren noch die Illusion, du könntest mit deiner alten Kirche immer noch mitdenken und mit handeln.
Mit einer Ruhestandsadresse in Westfalen hätte ich nicht erst jetzt vom „Westfälischen ökumenischen Pilgerweg für Klimagerechtigkeit“ erfahren; organisatorisch ein Teilstück des größeren Pilgerwegs, zu dem sich Christenmenschen und ihre Landsleute aus ganz Europa auf den Weg zur schicksalhaften UNO-Klimakonferenz in Paris vom 30.November bis 11. Dezember machen. Vom 13.- 24.Oktober geht es durch NRW, deckungsgleich mit Teilen meiner Heimatkirche und der katholischen Bistümer Paderborn und Münster. Ja auch die Katholischen Bistumsnamen verströmen Heimatklang. Die klugen Gänse des heiligen Ludger haben meine Phantasie in der Volksschule genährt. Unzählige Male habe ich später damit angegeben, als evangelischer Pastor über eine abgeschlossene Messdienerausbildung zu verfügen. Zu diesem Zweck kam der Kaplan in die Schule und ließ sich durch die Handvoll evangelischer Flüchtlingskinder nicht irritieren.
Vom 20.-22.10. steht das mir später so vertraute Dortmund ausnahmsweise einmal nicht für den BVB, sondern für gemeinsames Kopfzerbrechen der Pilgernden darüber, was es mit der Klimagerechtigkeit auf sich hat. Wäre ich Westfalen treu geblieben, wäre ich sicherlich im Ehrenamtlichen-Pool dieser Veranstaltung gelandet.
Genug des Lamentierens! Mein lädiertes rechtes Knie weigert sich sowieso, von Osnabrück bis Wuppertal seinen Dienst zu verrichten. Allenfalls per Pedale, nicht per pedes wäre tägliches Vorankommen zu bewerkstelligen. So werde ich die, an denen noch einige Zipfel meines Herzens hängen, im Oktober wohl mit freundschaftlichen Gedanken ihren Pilgerweg ziehen lassen.
Mir bleibt die naheliegende Frage: was kann ich als daheim Bleibender beitragen zur spirituellen und gesellschaftspolitischen Logistik dieses Pilgerweges quer durch Europa? Allein dieser verbale Klotz „Klimagerechtigkeit“ ruft nach den Versuchen Vieler, ihm Anschaulichkeit und Attraktivität zu verleihen. Einstweilen ist er ja wohl eine Analogbildung zu schon länger gebräuchlichen Begriffen wie Geschlechtergerechtigkeit, Generationengerechtigkeit, Nahrungsgerechtigkeit: allesamt der Versuch, Beziehungen oder Besitztümer mit der Frage nach dem, was recht ist, zu verbinden.
Verglichen etwa mit Nahrungsquantitäten und Landrechten ist das Klima freilich ein ziemlicher Wackelpudding; kein Grund, der Herausforderung auszuweichen. Das Politische muss am Ende ins Sprituelle, wie das Runde ins Eckige. Vom Hölsken kommen wir voraussichtlich auf Stöcksken. Jeden Tag können auch Daheimgebliebene der Klimagerechtigkeit neue Blickwinkel und Wegstrecken abgewinnen und sich mit denen unterwegs austauschen.
Ich bin gespannt.