Plastiktüte: Methusalem aus Erdöl

Meine letzte Einreise über den Hauptstadt-Airport Kigali im ostafrikanischen Ruanda liegt länger als ein Jahrzehnt zurück. Damals habe ich die Warnung erfahrener Mitreisender, im Flughafen ja nicht meine Kamera vors Gesicht zu halten, in den Wind geschlagen. Die Folge waren ein paar ärgerliche Minuten bei der Flughafenpolizei, aber halb so wild.
Käme ich heute, 2015, noch einmal nach Kigali, müsste ich mich wegen einer anderen Sache vorsehen: in Ruanda sind Plastiktüten seit 2008 gesetzlich verboten. Konsequent kassiert der Zoll bei der Einreise jede Plastiktüte im Koffer, auch die für die Schmutzwäsche. Weltenbummler rühmen inzwischen die Sauberkeit von Kigali. Von der „saubersten Stadt Afrikas“ ist die Rede. Das Verbot ist kräftig strafbewehrt. Die Kaufleute haben sich längst auf Papiertüten umgestellt.

Die Regierenden des kleinen, während des Völkermordes 1994 so furchtbar verletzten Landes, begründen ihr Verbot lupenrein umweltpolitisch. Die Argumente gegen Plastiktüten, die Umweltverbände in Europa seit Jahrzehnten gebetsmühlenartig ohne durchschlagenden Erfolg wiederholen, haben im armen Ostafrika die Gesetzgebung geleitet. Und nicht nur hier. Das von armen Menschen überquellende Bangladesh an der Mündung der großen Ströme des indischen Subkontinents hat bereits im Jahr 2002 ein Plastiktütenverbot eingeführt, u.a. um seine lebenswichtigen Bewässerungskanäle vor Verstopfung und Verschmutzung zu schützen. Das kleine Königreich Bhutan hoch oben im Himalaya machte sogar schon 1999 den Anfang. Das passt zu einem Land, das ernsthaft zum ersten „Bio-Königreich“ auf Erden werden will.

Drei Länder des armen Südens machen unserer Konsumentenwelt vor, dass unser Glück nicht abhängt von diesen Beuteln aus Erdöl, die später in den Ozeanen zusammen mit Billionen anderer Plastikreste über hunderte von Jahren hunderte von Tierarten tödlich bedrohen. Und auch die kompostierbaren „Bio“-Plastiktüten erweisen sich im wirklichen Leben als ökologische Schnapsidee. In der Gelben Tonne behindern sie das Recycling der Erdöl-Plastiktüten und in der Biotonne werden sie als verdächtiger Fremdkörper sicherheitshalber aussortiert.

Also kommen wir wohl nur auf dem Pfad der Vermeidung wirklich weiter. Gedacht, getan, nehme ich im Kaufhaus mein Bündel Kopierpapier, von Hersteller in buntes Papier gewickelt, marschiere damit zur Kasse, zahle und erkläre knapp meinen Verzicht auf die obligatorische Plastiktüte. Die Kassiererin, in ihrer Routine leicht gestört, schiebt mir Ware und Kassenbon rüber: „Den halten sie am besten gut sichtbar in der Hand, damit sie keine Schwierigkeiten bekommen.“ Ich klemme das Päckchen unter den Arm. Den Zettel knautsche ich etwas achtlos in die Jackentasche. Ab Richtung Ausgang! Am Zeitschriftenständer schlägt er zu. Vielleicht bin ich dem Hausdetektiv ja wirklich zu Recht aufgefallen: alter Kerl, Vollbart, ziemlich schlichte Klamotten, Fahrradhelm auf dem Kopf, keine Tasche, zielstrebig Richtung Ausgang, mit Ware unterm Arm. Warum zum Teufel reagiere ich auf die Frage nach dem Kassenbon unnötig hektisch? Ich kriege ihn erst beim dritten Versuch zwischen Taschentüchern, Schlüsseln und anderem Krimskrams zu fassen. Entsprechend pingelig passiert der Abgleich der Daten zwischen Zettel und Ware. Keine Silbe des Bedauerns, dafür unangenehm belehrend: „Das nächste mal lassen Sie sich eine Tüte geben. Das erspart Ihnen und mir den Ärger.“
Die Plastiktüte nicht nur als Kundenservice, sondern auch als praktischer Persilschein für den Kunden mit intakter Zahlungsmoral. Nur der Kunde mit unserer Plastiktüte ist ein guter, ein vertrauenswürdiger Kunde!
Welten trennen uns von ruandischer Umwelt-Vernunft einschließlich unserer lachhaften Beteuerung, dass es einfach nicht anders geht. Eine Frau, die ihren Lippenstift, ein Mann, der seine Tabakspfeife mit sich herum trägt, wird ohne Mühe noch ein Plätzchen für den zusammengefalteten Stoffbeutel finden. Für alle Spontankäufe sind beide damit gewappnet.
Auch wenn die Stimme des Shopping-Gottes es uns einflüstern will: die Plastiktüte ist kein Schnäppchen, das wir gratis obendrauf bekommen. Bei Licht besehen ist sie ein Monster, das uns überleben wird, egal in welchem Alter wir sie uns in die Hand drücken lassen. Hundert Jahre sind nix, solange wir sie nicht in die Verbrennungsanlage werfen. Aber fünfhundert Jahre bis zur völligen Auflösung sind durchaus drin, sagen die Chemiker, die es wissen müssen.
Trotz des kurzfristigen und kurzsichtigen Fracking-Rausches: der Methusalem Plastiktüte hat durchaus das Zeug, eines Tages im Museum als Beweisstück der Unvernunft des vergangenen Erdölzeitalters zu dienen.

Herzlich Willkommen in Ruanda!

21.01.15

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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