Sie trümmern sich durch das Kinderzimmer der modernen Menschheit, den Fruchtbaren Halbmond, heute Irak genannt – die Fanatiker, die ihr Unternehmen in finsterer Verblendung „Islamischer Staat“ nennen. Jeden Tag ein neues professionelles Video des reisenden Abbruchunternehmens – solange es noch Zeugnisse der vorislamischen oder auch der christlichen Geschichte gibt! Nicht etwa ertappte Täter sind sie, sondern Zerstörer, die ihre Bühnenbeleuchtung immer dabei haben – auf dass der Schrecken den Ungläubigen bis in die hintersten Winkel der Erde in die Glieder fahre.
Ninive, Nimrud, die Museen und Kirchen von Mossul, Hatra, soweit die Reiseführer tragen! Dabei müssen dem Publikum Einzelheiten der Inszenierung verborgen bleiben. Wo wird wirklich nichts als Schutt produziert? Wo wird vorsortiert? Das eine für die Horrorshow – das andere für den Antiken-Schwarzmarkt, um die Kriegskasse zu füllen!
Die Schockstarre tritt jedenfalls zuverlässig ein. Selbst der milde UN-Generalsekretär spricht von Kriegsverbrechen. Die Schockstarre wirkt auch bei mir. Denn authentische Zeugnisse menschlicher Geschichte haben mich ein Leben lang fasziniert und zum Nachdenken gebracht. Ich erlebe sie als Einladung, über das Menschen Mögliche und Unmögliche nachzusinnen, über Vision, Hybris, Vernunft, Lebensfreude, über mich selbst. Wenn ich schon nicht dabei sein konnte – oder musste -, wenigstens die Hinterlassenschaften, durch die sich die Altvorderen unfreiwillig dem Gespräch stellen, schlagen Brücken, auf denen man sich treffen kann.
Während ich noch mit der IS-Trümmertruppe abrechne, kommt mir ungerufen eines meiner ersten Kinderbücher in Erinnerung; ob vor, während oder schon nach der Nazizeit herausgegeben, weiß ich nicht. Der Held war aber kein Nazi, sondern ein Heroe des Christentums auf deutschem Boden. In Vierfarbdruck war zu sehen, wie der Gottesmann Bonifatius die Donareiche, das Heiligtum der nichtchristlichen Bevölkerung umhaut. Um 723 im Hessischen soll das gewesen sein, was mich damals aber nicht interessierte. Wichtiger für den treuen Kindergottesdienstbesucher war, dass unser Heros Martin Luther – der mit der Sachbeschädigung an der Kirchentür zu Wittenberg – so einen furchtlosen Vorgänger hatte. So wird’s gemacht, wenn einen der Herr mitten unter die Heiden schickt! Der Neun- oder Zehnjährige hatte keine Möglichkeit, sich diese fanatische Inszenierung irgendwie von außen anzusehen, ihre Brutalität, distanziert gesprochen, ihr Konfliktpotential wahrzunehmen und auf Abstand zu gehen.
Mit dem Bildersturm, also der massenhaften Vernichtung christlichen Kulturgutes in den großen Tagen Martin Luthers, war das dann schon etwas leichter. Ich war dagegen: Aber nur, weil er selbst, er, der immer recht hatte, dagegen war; weil er diese leidenschaftliche Fraktion seiner Anhängerschaft höchst persönlich in die Schranken wies.
Bis die IS-Wüstlinge in dieser Sache Naziformat erreichen, müssen sie wahrscheinlich noch eine Weile weiter machen. Die Vernichtung der kostbaren Synagogen der deutschen Judentums ab dem 8. November 1938 bleibt einmalig. Das gesamte Volk sah zu. Die Feuerwehr garantierte Brandschutz für die Nachbargebäude. Abertausende, die in den abgefackelten Gotteshäusern gebetet hatten, erlebten zum ersten mal Mord und Totschlag in der eigenen Familie.
Bei der gewaltsamen Umwidmung heiliger Stätten ist der Fall Hagia Sophia zu Istanbul, ex Konstantinopel, eher die Ausnahme: von der Kirche zur Moschee, heute zum Museum – und das alles ohne Trümmerhaufen. Da haben manche Kathedralen im christlich eroberten Lateinamerika eine andere Baugeschichte.
Die großen Religionen in Asien haben zu dem finsteren Thema das ihre beizutragen. Abertausende sind im freien Indien schon umgekommen, weil die Auseinandersetzungen um heilige Bauplätze und Gebäude zwischen Hindus und Moslems keine Kompromisslösungen fanden.
Alle haben sie ihre Tage blind-fanatischer Gläubigkeit durchlebt!
Und die religionsfeindlichen Weltanschauungen? Auch sie versuchen ein um das andere mal, die unbelehrbaren Frommen durch Vernichtung, Verächtlichmachung ihrer Orte für Gottesdienst und Gemeinschaft auf ihre Linie zu zwingen. Und sie haben sich dessen immer gerühmt, ob sie Hitler, Stalin, Mao oder sonst wie geheißen haben. Die zeitweise bösartige Kirchenpolitik des DDR-Regimes gehört da im internationalen Vergleich gewiss zu den eher erträglichen Varianten.
Nein, der Blick in die Geschichte gewalttätiger religiöser Intoleranz verschafft den IS-Beserkern keinen Rabatt. Niemand kann Nachsicht beanspruchen, der die Seelen seiner Mitmenschen durch Demonstrationen von Verachtung, Hass und Mordlust paralysieren will.
Aber ich komme nicht daran vorbei, meine unerlässliche Polemik erst zu beginnen, nachdem ich mich wieder gefragt habe, ob mein Glaube, meine Hoffnungen die Rechte und die Würde derer missachten, die das Leben einen ganz anderen Weg geführt hat.