Diese Nachbarin genießt mehr als nur meinen Respekt. Da ist schon leise Bewunderung dabei. Eine bald achtzigjährige Bäuerin, inzwischen verwitwet und sehr behindert, war im ersten Jahrzehnt unseres Hierseins noch ein Ausbund an sachkundiger Tüchtigkeit! Sie und ihr Mann müssen gewusst haben, dass sie nach Jahrhunderten die letzten Erwerbsbauern auf dem Hof der Familie sein werden. Jahr um Jahr konnten wir beobachten, wie die alten Leute mit Kleintraktor oder Pferdefuhrwerk zu ihren nach der Wende von der LPG zurückgegebenen Äckern und Wiesen unterwegs waren. Nebenbei waren sie unsere Eierlieferanten und Abnehmer für allerlei Garten- und Küchenabfälle. Die Schweine haben es weggeputzt.
Für eine Bäuerin ist die Arbeit Arbeit und nicht Hobby zur Körperertüchtigung. Also weiß Frau Nachbarin die modernen Heinzelmännchen einer Bäuerin zu schätzen. Meine Frau, die die alte Frau mindestens so sehr mag wie ich, erzählt mir eines Tages gar nicht begeistert von so einem solchen Heinzelmännchen, auf das unsere Nachbarin schwört.
Ihr Favorit ist Roundup, das moderne Pestizid made in USA, von dem sie zu DDR-Zeiten nur träumen konnte. Bienen, hat sie gehört, stehen regelrecht auf Roundup. Wir kugeln uns über die unenglische Aussprache des Markennamens, die der begeisterten Anwenderin über die Lippen kommt. Aber dafür kann sie nun wirklich nichts. Bedenklicher finden wir dieses begeisterte Vertrauen in die Agrarchemie. Denn sie steht damit im Dorf wirklich nicht allein. Vielen Nachbarinnen und Nachbarn, die sich allesamt nur um ihr Hobbygrün kümmern müssen, liegt die Giftspritze sehr locker in der Hand. Und das Wundermittel Roundup, seit 40 Jahren vom Agrarriesen Monsanto vermarktet, ist auch bei uns der Topseller.
Trotzdem sollten wir unserer geplagten alten Nachbarin diese Nachricht ersparen, die sie auf anderem Wege kaum erreichen wird: die Weltgesundheitsorganisation WHO – also nicht irgend eine Öko-Kampfgruppe – hat den wichtigsten Roundup-Wirkstoff Glyphosat jetzt auf ihre Liste „wahrscheinlich krebserregender“ Substanzen gesetzt und damit Agrarindustrie, Politik und Kleingärtner gleichermaßen aufgescheucht. Auf einer fünfstufigen Skala wählten die UNO-Beauftragten die zweithöchste Alarmstufe.
Roundup-Kanister jetzt rasch illegal in einem Straßengraben verschwinden zu lassen oder ordnungsgemäß als Sondermüll zu entsorgen, wäre aber auch keine Lösung. Denn Glyphosat ist inzwischen in den meisten Unkrautkillern enthalten. Auch in denen, die andere Firmenetiketten tragen. Sogar im Pipi einer satten Mehrheit aller Bundesbürger werden die Tester fündig.
Ob das Pflanzengift Glyphosat das Zeug hat, mit den Menschen so umzuspringen, wie seinerzeit das Top-Insektengift DDT mit den Greifvögeln, werden wir abwarten müssen. Hoffentlich nicht. Aber mir fällt auf, dass DDT hat seine Zeit gebraucht hat, um seine verheerenden Kumulationseffekte zu erzielen. Von seiner Einführung in der großdeutschen Landwirtschaft 1942, über die Gruppenentlausungen von uns Nachkriegsdeutschen bis zum Verbotsprozess. Aber am Ende ist das Gift in den hintersten, ziemlich insektenfreien Ecken des Globus angekommen. Es fand sich im Körperfett der Eisbären. Wie wir stillen sie ihren Hunger an der Spitze einer Nahrungskette.
Der politische Verbotsprozess für DDT begann nach ca. 30 fröhlichen Anwenderjahren um 1970 und ist bis heute weltweit noch nicht beendet. In den neunziger Jahren habe ich das Zeug als allzeit bereiten Hausgartenhelfer noch neben Brotlaiben und Limonadeflaschen in den Auslagen indischer Dorfläden gesehen. Dieses DDT war dem Stockholmer Vergabekomitee 1948 immerhin einen Medizin-Nobelpreis wert. Trotzdem wissen wir heute, dass die Menschheit im Kampf um das tägliche Brot nicht auf den einstigen Kartoffelkäferkiller setzen darf. Meinen nicht-bäuerlichen Nachbarinnen und Nachbarn mit ihren kleinen Hobby-Parzellen kann ich im Kampf gegen unerwünschtes Grün nur zur Rumpfbeuge raten. Die ist wirksam und gesund.
Wenn es um die größeren Flächen und um zuverlässige Ernten geht, hat die Welternährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO eine eindeutige Meinung, die sie neuerdings Jahr für Jahr kundtut: nicht DDT oder Roundup werden es richten. Sondern Bäuerinnen und Bauern in allen Erdteilen, die ihre Böden, ihre Wasserkreisläufe und Fruchtfolgen kennen; denen – das ist Bedingung – kein Multi und keine willfährige Regierung ihr Saatgut, ihre Landrechte, ihre Erlöse streitig machen. Ihr Blick für die Details des Lebens und ihr schweißtreibender Fleiß sichern aufs Ganze gesehen das tägliche Brot von morgen. Das bleibt die Hoffnung, auch dann, wenn in den Laboren der nächste garantiert bienen-und menschenfreundliche Erntegarant und Freizeithelfer zusammengetüftelt wird.