Schmetterling flieg!


 Mit den Ausstellungsstücken in Naturkunde-Museen geht es mir recht unterschiedlich: Eine Landschaftsausschnitt mit Tieren der Alpen oder den Vögeln einer Felseninsel im Nordmeer kann mich schon begeistern. Die modernen Präparationstechniken der Tierkörper und das biologische Beobachtungs- und Einfühlungsvermögen der Fachleute bringen wirklich Sehenswertes hervor.

Einige Säle weiter betritt man dann die Welt der Insekten. Ihr Zepter ist seit alters her die Stecknadel. Die Sammlungen finden sich in Kästen mit Glasdeckeln, darunter, wie Soldaten angetreten zur Parade, aufgepiekste Käfer, nach biologischen Sippen und Völkerschaften geordnet. Und als Krönung des Ganzen die genadelten Schmetterlinge. In allen Farben des Regenbogens , mit jeder Menge Mustern und Formen, die im Wettlauf der Evolution auf die Siegerstraße geführt haben, einstweilen.

Bewunderung? Ja, für den Sammlerfleiß von Generationen, für ihr systematisches naturwissenschaftliches Arbeiten. Es hilft uns Christenmenschen, wie allen Zeitgenossen, die komplexen Kreisläufe des Lebens ansatzweise zu verstehen. Aber regelrechtes Vergnügen, wie es das meisterliche Präparat, sagen wir, einer Maus im Getreidefeld zu wecken vermag? Nein! Bei mir will das einfach nicht klappen.

Fünfzehn farbenprächtige Falter in einem Kasten, einzelne bis zur Bierdeckelgröße, aus einem indonesischen Regenwald: sie lassen mich einfach zu kalt; festgenadelt, ohne jene Flügelschläge, die für unser Auge unbedingt zum Ereignis Schmetterling gehören. Der Schmetterling ist nun mal mit seinen unvorhersehbaren Bewegungen ein Geschöpf der Luft. Im Sammlerkasten wirkt auch das kostbarste Stück wie eine Fälschung. Auch der Schmetterling, der vor langen Jahren mal auf der Backe meiner schlafenden Liebsten Pause machte, erhob sich dann wieder, auf Nimmerwiedersehn hinter den Himbeerbüschen.

In ihrem letzten Lebensabschnitt, als meist nur noch kurzlebige Schmetterlinge tun sie unseren Seelen einfach gut. Ein überaus willkommener Nebeneffekt ihres Daseins, wenn ich mir vergegenwärtige, dass Deutschlands Schmetterlinge auch so schon genug zu tun haben. Nicht nur die eigene Art will durch die Bio-Rallay vom Ei über die Raupe, die Puppe, bis zur nächsten Falter-Generation erhalten werden. Unsere rund 170 Tagfalter-Arten haben auch schicksalhafte Bedeutung für tausende kleiner Insektenarten.

Da ist es bitter, zu Beginn des Schmetterlingsjahres 2012 zu hören, dass Fachleute mit dem raschen Artentod von mindestens 10 Prozent aller hiesigen Tagfalter rechnen. Langes Grübeln über die Ursachen erübrigt sich. Wir wissen, was Schmetterlinge zum Leben brauchen, Art für Art. Und so können wir uns an fünf Fingern abzählen, was allein die industrialisierte Landwirtschaft, pflanzenkundlich ahnungslose Eigenheimer und überlastete Hausmeister im Verein an Schmetterlings-Heimat vernichten, Jahr um Jahr.

Statt für den Kindergottesdienst so einen kleinen Schaukasten mit genadelten Falter-Präparaten anzuschaffen – nach dem Motto „Es war einmal“ – wird es Zeit, dass wir jeden Quadratmeter rund um unsere Kirchen und Gemeindehäuser zu einer Arche für unsere kleinen, überaus lebenstüchtigen Mitgeschöpfe machen.

Sage niemand, das sei zu teuer oder zu kompliziert. In jeder, wirklich jeder Kommune in Deutschland gibt es die Landsleute, die wissen, was eine Schmetterlingswiese einschließlich einer Brennnesselecke ausmacht, was Hummeln und Bienen mögen, was Regenwürmer munter macht. Hier und da ein etwas längerer Weg, vielleicht. Aber es gibt wahrhaft Wege, die steiniger sind und die wir auch noch gehen müssen in diesem Jahrhundert.

So habe ich diesen klitzekleinen Traum: möge es sich unter den gestressten Schmetterlingen dieses und der nächsten Jahre herumsprechen, dass rund um die Häuser unseres Gottes die Lebensaussichten ein Stück besser sind: weil Liebe zur Schöpfung und gesunder Menschenverstand sich verbünden.

 


 

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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