Selbstverständlich gehört der Autorennfahrer a.D. Michael Schumacher zu den prominentesten Persönlichkeiten unseres öffentlichen Lebens. Streiten darf man sich freilich, ob man seine unvergessenen mentalen und körperlichen Höchstleistungen im Kapitel Sportgeschichte archivieren will. Infrage kommen schließlich auch die Technikgeschichte oder die Geschichte der Werbebranche.
Sein Top-Job hatte so gut wie nichts gemeinsam mit 100-Meter-Sprint, Rudern oder Kunstturnen. Selbst der Vergleich mit dem Milliardenunternehmen Fußball oder dem Reitsport mit seinen lebenden PS ist sinnlos. Denn all diese Sportarten haben keinen maßgeblichen Einfluss auf das künftige Schicksal der Menschheit.
Der maßlose oder der maßvolle Umgang mit Verbrennungsmotoren und ihrem Energiedurst hat diesen Einfluss sehr wohl. Und der alljährliche mediale Zirkus anlässlich der Erdumrundung der Formel-1-Boliden manifestiert die höchste Ekstase der Autoreligion. Es mag tausend Gründe dafür geben, dass der Privat-Freizeit-PKW in der Menschheitsgeschichte seine Zeit gehabt hat; dass ein sparsamer, wirklich vernunftgesteuerter Umgang mit dem Auto unumgänglich geworden ist – der Formel-1-Orkan reißt auch das kleinste Pflänzchen der Erkenntnis nachhaltig aus den Gehirnen.
Darum gehören die objektiven Höchstleistungen von Herrn Schumacher und seinen Kollegen für mich nicht auf die Sportseiten meines wirklich sportbegeisterten Hirns. Deshalb ist er nicht „mein“ siebenfacher Weltmeister, wie es die Vier-Buchstaben-Zeitung mitfühlend formulierte, als sie von „Schumis“ bösem Skiunfall berichtete; beinahe mitfühlender mit mir, dem Leser, als mit dem Verunglückten.
Muss ich wirklich erklären, dass ich dem Patienten ein Überleben in einem Zustand wünsche, der Selbstbestimmtheit und künftige Tage des Glücks einschließt? Etwas, was wohl in jedem Ort unseres Landes die Angehörigen von Unfallopfern oder schwer Kranken herbeisehnen – ohne dass die ganze Nation ans Krankenbett gerufen wird.
Weder Herr Schumacher noch sein Management konnten veranlassen oder hätten veranlasst, dass die Meldung von seinem Unglück am Abend des Tages die Nachricht von einem irrsinnigen Bombenattentat im russischen Wolgograd, ehemals Stalingrad, in den Hintergrund drängte.
Politisch-humanitäre Katastrophe hin oder her; es war wohl das Gespür der wichtigsten TV-Nachrichtenredaktion dafür, was den Herzschlag unserer Gesellschaft ausmacht: die Verherrlichung des Autos und seiner Helden. Denn ihrer Informationspflicht wären sie genau so nachgekommen, wenn sie zuerst das an Todesopfern reiche politische – und dann das völlig private Unglück gemeldet hätten.
Nein, mit dem bedauernswerten Supererfolgsmenschen Michael Schumacher habe ich kein Problem. Auch nicht damit, dass all die Hochrisiken, die er unbeschadet überstanden hat, ihn sehr reich gemacht haben. Da gibt es wirklich zehntausend peinlichere Karrieren.
Mein Problem ist die völlige Ungewissheit, ob wir unsere auf hemmungslosen Ressourcenverbrauch „Just for Fun“ ausgerichtete Lebensart im Alltag noch rechtzeitig zu verändern vermögen, – damit uns unerkannte Hindernisse nicht völlig unerwartet aus der Bahn werfen.