Täglich Brot: Wir haften gemeinsam

Fastenaktion 2013, 25. Februar

Wie sollen wir´s denn nun machen? Wie jener Bundestagsabgeordnete, der sich bei seiner ziemlich albernen Mutprobe fotografieren lässt? Lasagne löffelnd, die aus einer von dem Pferdefleisch-Etikettenschwindel betroffenen Tranche stammen soll. Denselben Genuss will er Deutschlands Armen bereiten und ihnen aus Supermarktregalen aussortiertes Pferde-Protein zukommen lassen.

Oder haben ganz im Gegenteil die Leute in Berlin recht, die das zwanzigjährige Jubiläum der „Tafeln“ mit der Parole begehen „ Armgespeist – 20 Jahre Tafeln sind genug“? Kurz gesagt, weil die Unterstützung von 1,5 Millionen Nachbarinnen und Nachbarn mit ehrenamtlich eingesammelten und ausgegebenen Lebensmitteln ablenkt von Sozialabbau und staatlich verordneter Armut. Die „wohltätigen Damen“, wie sie süffisant genannt werden, schadeten unserem Gemeinwesen am Ende mehr, als sie seinen Pechvögeln helfen.

Oder sind unsere Hoffnungsträger gar die Frauen und Männer, die „containern“ gehen, die von sturen, gefühllosen Supermarktmanagern zugekettete Abfallcontainer mit abgelaufener Ware aufbrechen; die sich so prachtvolle Mahlzeiten zusammenstellen. Mittlerweile haben sie es mehrfach bis in Krimi-Drehbücher geschafft, weil die den Kontrast zwischen Profitstreben und Armut auf die Spitze treiben.

Manche Fragen müssen gestellt werden, immer wieder. Da hilft es wenig, wenn wir Alten uns räuspern und sagen: „Das hatten wir doch schon!“, nämlich die Diskussion um politisch einlullende Nebenwirkungen der beinahe tausend „Tafeln“ in Deutschland. Ich erinnere mich zorniger Debatten darum, ob sich Jesu „Barmherziger Samariter“ nicht besser um die Sicherheit an der Straße von Jerusalem nach Jericho gekümmert hätte, statt Zeit und Geld an ein einziges Gewaltopfer zu verschwenden. Politiker-Termine bei Tafeln dürfen deshalb keine Kuschel-Events sein. Da muss von Betreibenden und Gästen klar ausgesprochen werden, welche Tatsachen die Leute zum Schlangestehen nötigen.

Mein Lasagne löffelnder Volksvertreter, von den Alltagsnöten einer alleinerziehenden HartzIV-Mutter genauso weit entfernt wie ich, darf, genau wie ich, nachdenken über den Hintersinn des Namens, den die Tafel-Ausgabestellen in Berlin früher trugen: „Laib und Seele“. Die Seele isst mit.

Selbstverständlich dürfen wir, Kundinnen und Bürger, von Supermarkt-Managern einen ethisch verantwortbaren Umgang mit ihren genießbaren Lebensmittel-Restbeständen verlangen. Aber wenn wir uns zur Diskussion an den Abfall-Containern treffen, sollten wir die Landwirte und die Kühlschrankbesitzer dazu bitten. Aber letztere vertreten wir ja selbst. In dieser unheiligen Trinität: Erzeuger, Händler, Verbraucher tragen wir – wie bekannt – gemeinsam die Verantwortung für die skandalöse Vernichtung von „Täglichem Brot“. Gemeinsam haften wir.

Bei allem Für und Wider: meine Frau und ich sind dankbar dafür, dass wir eine „Tafel“ in Fahrrad-Entfernung von unserer Haustür kennen. Gelegentlich dürfen wir dort zu Bio-Lieferanten werden. In besonders ertragreichen Nüsse-Jahren, oder wenn uns dies oder jenes Gemüse über den Kopf zu wachsen beginnt. Neulich hatte die Frau an der Annahmestelle nicht nur ein paar freundliche Worte, sondern sogar ein kleines Leuchten in den Augen. Ihr Lebensweg hat sie vielleicht von Russland nach Deutschland geführt. Jedenfalls nahm sie einen großen Beutel Rote-Beete-Knollen mit dem Ausdruck von Lust und Entzücken in Empfang: unentbehrliche Zutat für Soljanka, Borscht oder was auch immer. Essenslust an der Tafel war im Anzug! Dazu trägt man gerne bei.

 

 

 

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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