Fastenaktion 2013, 12. März
Ich vermute, jedes Menschenkind, das gewohnheitsmäßig eine Bibel aufschlägt, hat so seine Lieblingsstellen. Ich meine gar nicht die von der ganz großen Bedeutung, wo es um die Beziehungskiste zwischen mir und meinem Gott geht. Ich meine die bezaubernden oder auch Gänsehaut produzierenden Bilder, Vergleiche, kleinen Geschichten, die zu Alltagsbegleitern werden können.
So geht es mir mit einem Satz aus dem 104. Psalm. Da heißt es im vertrauten Lutherdeutsch, Gott habe die „Walfische“ geschaffen, „um mit ihnen zu spielen“. Ich glaube, ich habe mich schon als Jugendlicher in diesen Satz verliebt. Dabei hat mich nie gestört, dass die Wale biologisch keine Fische sind. Und wenn andere kluge Leute „Seemonster“ übersetzen, sei´s drum! Mich rührt an, dass da vor satten 2500 Jahren ein Mensch des Binnenlandes einen großartigen Sinn im Leben der gewaltigsten Tiere, die Menschen zu Gesicht bekommen, erspürt hat. Diese hohe Wasserfontänen in die Luft blasenden Riesen: sie machen für die Ökonomie und Ökologie antiker Bauern und Hirten eigentlich keinen Sinn. Aber sie müssen einen haben. Sonst gäbe es sie nicht. Die Antwort: der in seine Schöpfung verliebte Gott will sie einfach haben!
Jetzt wissen Sie, warum mir der Überlebenskampf der Wale und der wagemutige Einsatz ihrer menschlichen Beistände so nahe geht. Eigentlich haben wir ja vor unserer eigenen Haustür genug zu kehren. Nord- und Ostsee sind die Heimat des kleinen Schweinswals. Den könnten zwei starke Menschen noch so gerade auf den Armen halten. Allerdings ginge das nur mit einem Kadaver. Weil Gehör und Ortungsorgane das wichtigste Überlebensrüstzeug der Kleinwale sind, rückt das Artentod-Risiko mit der Ausbreitung der Windparks in unseren küstennahen Gewässern bedrohlich näher. Schweinswale, die vor lauter Krach im Wasser nicht mehr peilen können, verhungern und treiben als Kadaver an die Strände. Wenn dieses Risiko die Windenergie verteuert, z. B. wegen technischem Nachrüstungsbedarf, muss uns das die Sache wert sein.
Wenn der Dichter – oder die Dichterin – des 104. Psalms aber jemals selbst aufs Meer hinaus geblickt hat, dann sah sie oder er das Mittelmeer, Heimat einer stolzen Anzahl von Walarten. Die Alarmmeldungen letztes Jahr, wegen des drohenden Auseinanderbrechens der „Costa Concordia“, haben uns daran erinnert.
Der Pottwal, der dieser Tage an der Südküste Spaniens angeschwemmt wurde, ist freilich eines sehr viel weniger sensationellen Todes gestorben. Sie haben ihn obduziert, ganz sorgfältig und die tödlichen Fundsachen aus dem Verdauungstrakt des Riesen ausgebreitet: die unverdaulichen Fremdkörper ließen sich kriminaltechnisch einwandfrei zuordnen. 30 Quadratmeter Plastikfolie und eine Menge Gartenschläuche stammen aus der südspanischen Gewächshausindustrie. Dazu nicht weniger tödlicher Kleinkram aus menschlichen Haushalten, etwa eine Matratze und etliche Blumentöpfe. Man mag es kaum zitieren. Aber der obduzierende Veterinär urteilte, der zugestopfte Darm des Pottwals sei „förmlich explodiert“.
Leider ist das Mittelmeer nirgends tief genug, so dass dem Tieftauch-Weltmeister Pottwal absinkender Menschenmüll entgehen könnte. Und weil er größere Beute jagt, nicht Kleinkrebse wie der gigantische Blauwal, kann durchs Wasser schwebende Gewächshausabdeckung ihn wohl irreführen. Also darf Plastik nicht ins Meer! Dass es doch jeden Tag passiert, hat sich längst zu einem globalen Hochrisiko ausgewachsen. Der Pottwal-Kadaver vom Strand Andalusiens macht in Momentaufnahme ein Massensterben sichtbar, das sich unaufhörlich im Verborgenen vollzieht.
Im konkreten Einzelfall sitzen die Halunken irgendwo im Apfelsinenland. Es wäre schon ein irrer Zufall, man käme ihnen gerichtsverwendbar auf die Schliche. Immerhin dürfen wir uns auf ihre Kosten empören! Dürfen wir wirklich? Südspaniens Gewächshauswüste mit ihrem Energiefraß und der ständig nachwachsenden Plastik-Müllhalde produziert schließlich für unsere Supermärkte. Genauer gesagt für unser gutes Verbraucherrecht, zu jeder botanisch noch so unpassenden Jahreszeit jede Art von Gemüse billig kaufen zu können. Dass wir uns dabei selbst an der Nase herumführen, müssten wenigstens wir Alten bezeugen können. Ich habe jedenfalls den erlesenen Geschmack der ersten echten Freilandtomaten meiner Kindheit noch auf der Zunge. Ich hatte ja auch die Pferdeäppel für ihr Gedeihen aufgesammelt. Verglichen damit schmeckt das Zeug aus dem Plastiktreibhaus Anfang März so richtig labberig. Das hat sicher auch züchterische Gründe. Aber wahrscheinlich fühlen wir uns einfach wohler, wenn alles seine Zeit hat.
Wie dem auch sei: Ich und du können uns nicht so einfach ausklinken aus der Kausalkette menschlichen Tuns und Unterlassens, das zu dem entsetzlichen Befund am Strand geführt hat. Also Augen auf beim Gemüsekauf! Selber damit anfangen und möglichst viele dazu anstiften!