Der Staatsanwalt muss ihn hegen, um von Rechts wegen tätig werden zu können, den Anfangsverdacht. Und der Deutsche Michel, also unsereiner, sollte auch beizeiten die Zipfelmütze von den Augen schieben, um nicht hinterher wie der begossene Pudel dazustehen. Ein Anfangsverdacht in Sachen Bürgerrechte und Bürgerfreiheit ist selten fehl am Platze.
Auch wenn uns unser Vizekanzler ein sonniges „Alles mit der Ruhe“ entgegen strahlt, wenn die Rede auf TTIP kommt, das „Transatlantische Freihandels- und Investitionsabkommen“ zwischen EU und USA. Nix, absolut gar nix sei beschlossene Sache. Erzengel Sigmar hält die Wacht. Er schaut den mächtigen Hinterzimmerverhandlern aus Washington und Brüssel auf Finger. Wir können uns darauf verlassen: er ist ganz mit uns eines Sinnes – auch wenn er wissen darf, was wir ums Verrecken nicht wissen sollen, bevor es endgültig ausbaldowert ist.
Also ich finde, für mich, der in ein paar Geheimnisse unserer Zeit ein wenig tiefer eingedrungen ist, als in das Interessen-Kuddelmuddel der EU-Strippenzieher und der sie umgebenden Lobbyistenheerschar, reicht diese Attitüde für einen bürgerlichen Anfangsverdacht allemal aus. Vor allem, wenn ich daneben halte, was meine Mailbox mir jetzt Woche für Woche an besorgten Analysen und Aufrufen in Sachen TTIP ins Haus schickt. Die Absender sind durch die Bank keine Hallodris, sondern Bürgerinitiativen und etablierte Nichtregierungsorganisationen, die sich seit Jahr und Tag mit Stand und Folgen der EU-Politik auseinandersetzen. Umwelt, Bio-Landwirtschaft, Entwicklung, Frieden, Kirchen – alles was das hoffende Herz begehrt, Dutzende sachkundiger Warner.
Aber wenn es diesen kompetenten Engagierten nicht gelingt, in uns Normalbürgern den heilsamen Anfangsverdacht zu wecken, kann unser Erwachen böse werden. Wenn die Warner recht haben und die Folgen eines TTIP für die Lebensqualität der Menschen EU-Europas und darüber hinaus vielfältig destruktiv sein werden, dann ist die Bierruhe, in der wir verharren, schon atemberaubend. In mein Erwachsenenleben als Bundes- und EU-Bürger gehören eine Reihe von System-Entscheidungen, u.a. Notstandsgesetze, Anti-AKW-Bewegung, Friedensbewegung. Bei diesen und weiteren Richtungsentscheidungen haben Bürgerinnen und Bürger der Politik definitiv Vorgaben gemacht. Die sind in sehr unterschiedlichem Maß zum Tragen gekommen. Aber die Bürger wollten das Wort und sie hatten es.
In Sachen TTIP müssen wir uns erst noch das Wort nehmen. Und weil viele mit vielfältigen Lebenserfahrungen und Bedürfnissen Vielerlei zu sagen haben, kann ich es in demokratischer Bescheidung ja bei ein paar Anfangsverdachts-Fragen belassen:
kann etwas Gutes dabei rauskommen, wenn Bürokraten und Lobbyisten von beiden Seiten des Atlantiks sogar die Parlamentarier von 28 Demokratien über den Inhalt ihrer Verhandlungen im Dunkeln tappen lassen? Will uns da einer auf den Arm nehmen, wenn er uns ein Prozentchen Wirtschaftswachstums als Lohn der Angst für den Sprung über den Abgrund verspricht? Solche Quoten bringt hin und wieder jede etwas stattlichere Konjunkturwelle. Außerdem, habe ich etwas davon gehört, wem dies Wachstum zugute kommen soll? Glaubt irgend ein Einfaltspinsel, unsere unantastbare Autoindustrie bekäme ihre Wünsche auf dem US-Markt erfüllt, ohne dass die US-Agarindustrie mit ihren monströsen Produkten und Technologien bei uns Einzug halten darf? Was ist mit der geplanten außergerichtlichen, aber äußerst wirksamen Schiedsgerichtsbarkeit für Konzerne? Sonderrecht der Reichsten an allem rechtsstaatlichen Recht vorbei?
Der Teufel steckt mit Sicherheit in den Details. Mehr als tausend sind es sicherlich, wenn man die auf unser Leben einwirkenden Politikfelder abschreitet -samt dem nur zu erahnenden neuen Regelwerk, zu dem wir demnächst ohne viel Widerworte Ja sagen sollen. Ob es sogar zehntausend Sachfragen sind? Ich weiß es nicht. Aber was hat die EU nicht schon ohne das transatlantische Projekt alles für regelungsbedürftig gehalten!
Eh ich´s vergesse: zu meinem Anfangsverdacht auf eine nicht zukunftsfähige Politik gehört auch diese Frage: gibt es da nicht Weltgegenden und Völker, die sehr viel dringender darauf angewiesen sind, daß die EU mit ihnen tragfähige und beiderseits nützliche Beziehungen aushandelt. Auf diesem Feld ließe sich wirklich Schaden abwenden. Quer über den Atlantik geht es wohl eher um Kapital- und Profitströme. Soweit mein Anfangsverdacht.