In den Nachrichten hatte die Meldung eine kurze Verweildauer. Gerade mal einen einzigen Tag: in einem Dorf des Sahelstaates Niger nahe der Grenze zu Nigeria feuert ein Kampfflugzeug auf einen Beerdigungszug. 37 Menschen sind tot. Die Verstümmelten, Verletzten bleiben ungenannt. Ein Flugzeug der Luftwaffe von Nigeria hat – dem Vernehmen nach – Kämpfer der Boko Haram-Sekte über die Grenze verfolgt. Dies, so vermute ich, im Einvernehmen mit der Regierung des Niger.
Bei der Zielansprache unterläuft dann der Irrtum. Das Blutbad ist die Folge. Die Regierung des Niger verhängt Staatstrauer. Tatsächlich, der Nachrichtensprecher liest das Wort „verhängt“ vom Blatt.
37 Kollateral-Tote, in den asymmetrischen Anti-Terror-Kriegen unserer Tage, das ist berichtspflichtig, aber eben doch keine längerlebige Spitzenmeldung. Es sei denn, sie weckt angstbesetzte Ahnungen, wie es der Krieg in der Ost-Ukraine tut. Dann genügen auch fünf Tote, um uns gründlich zu erschrecken.
37 Kollateral-Tote, umgekommen in gehörigem politischem und psychologischem Sicherheitsabstand, zumal in Afrika, wo ohnehin schnell und in großer Zahl gestorben wird, da fällt die zügige Rückkehr zur normalen Gemütslage nicht all zu schwer.
Dabei ist es genau dieses Szenario, das den angeblich ingenieurtechnisch so sauberen high-tech-Kriegen die Propagandamaske vom Gesicht reisst. Es ist ja nicht irgend ein unfähiger schwarzer Air Force-Captain, der erst mal ordentliche zielen lernen muss, der erst jetzt die schreckliche Tradition der zusammengebombten Familienfeiern begründet. Die Antiterror-Kriege unter NATO-, US- und sonstigen uns sehr vertrauten Flaggen enthalten eine lange Liste von „Tut uns leid-“ -Bombardierungen. Alles dabei, von der Wiege bis Grabe, Hochzeit, Beerdigung, Volksfest; in Afghanistan, im Irak, in Pakistan; mit Piloten im Cockpit oder up-to-date per Drohne.
Das stillschweigende Einverständnis der Wahlvölker Europas mit dem Kriegseinsatz ihrer Berufssoldaten in den aktuellen Anti-Terror-Kriegen beruht nicht zum geringsten Teil auf der nach wie vor ,geschickt gepflegten Illusion von den sog. chirurgischen Schlägen, die die Bösen auslöschen und die Guten nicht behelligen. Immer wieder sind wir geneigt, diesen Videospiel-Krieg für bare Münze zu nehmen – einfach, weil die dazu gehörenden Bildschnipsel gut gegen Skrupel sind; wie eine Aspirin gegen Kopfschmerzen.
Aber man muss nicht Militär sein, um zu begreifen, dass die im kollektiven Gedächtnis haftenden zerstampften Hochzeiten und Beerdigungen – oder auch jene verhängnisvolle Spritsammelaktion, als die Bundeswehr in Afghanistan US-Bombenflugzeugean ein ausgetrocknetes Flussbett dirigierte – nur der Teil des kriegerischen Mordgeschehens sind, der sich einfach nicht verheimlichen lässt. Die Masse der unbewaffneten Kriegstoten stirbt alltäglich, banal, einzeln, zwangsläufig, ohne Schlagzeilen. Das kann gar nicht anders sein in Kriegen, in denen mindestens eine Kriegspartei die Zivilbevölkerung in ihr militärisch-politisches Konzept einbezieht, ob die Menschen das wollen oder nicht. Die andere Seite passt sich dann an. Das Bild vom unbeteiligten Zivilisten verschwimmt bis zur Unkenntlichkeit. Jeder Tag hinterlässt so seine Totenliste, ob Presseoffiziere das Wort „Kollateralschaden“ mit gebührenden Bedauern in den Mund nehmen oder nicht. Wir Wahl-Bürgerinnen und -Bürger haben dazu Ja gesagt, so wie man das Kleingedruckte in dem einen oder anderen Vertrag mit unterschreibt, ohne es zu lesen.
Bleibt die Frage: warum sind diese Dörfler im Niger auch so leichtsinnig und laufen in diesen Zeiten in Massen hinter einem Sarg hinterher? Im Zeitalter des Smartphones werden sie ja wohl wissen, dass die Nigeria Air Force hinter Boko Haram her ist?
Wer wirklich so eine Frage stellt, sollte sich bei Luftkriegs-erfahrenen deutschen Senioren erkundigen. Die werden gern bestätigen, dass noch die letzten Fußballspiele vor dem Kriegsende 1945 gut besucht waren.