Vanuatu und die begriffsstutzige Menschheit

Wenn über den Brocken Sturmböen von 100 km/h hinweg fegen, ist das den regionalen Fernsehstationen durchaus ein paar Bilder wert. Regelmäßig versucht dann der Mensch hinter der Kamera ein paar Mitmenschen einzufangen, die Mühe haben, sich auf den Beinen zu halten oder denen ein anderes fotogenes Missgeschick zustößt. Uns Zuschauer im sturmfreien Wohnzimmer überkommt es dann gruselig oder wohlig, je nach Temperament.
Eigentlich zwecklos, sich diese Sturmbilder aus dem Harz einfach hochzurechnen auf die Messzahlen des Zyklons „Pam“, der in diesem März 2015 die pazifische Inselrepublik Vanuatu zerschmetterte. Auch das, was an den furchtbaren Hurricans vor der US-Ostküste messbar ist, reicht da nicht heran: Faustschläge von 340 km/h. Das ist rasender als die Geschwindigkeit, mit ein Jumbojet aufsetzt. Der Grand Prix-Zirkus fährt solchem Unwetter abgeschlagen hinterher.
Nein, nackte Zahlen sind ziemlich wackelige Krücken, wenn es gilt, zu verstehen, was sich da tut.
von Phillip Capper from Wellington, New Zealand [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons
Vanuatu, in meinen Schülertagen waren das noch die Neuen Hebriden, eine Inselgruppe zwischen Australien und Lateinamerika gelegen. Das ist keine künstliche, jederzeit einsturzgefährdete Urlaubswelt, wie ölreiche Bauherren sie an die Strände der Emirate klotzen. Vanuatu ist seit Jahrtausenden menschlicher Siedlungsraum; schwierige aber verlässliche Lebensgrundlage für Bauern- und Fischerkulturen. Und das trotz weitgehend flacher Landesteile, trotz Seebeben, heftigen Stürmen, Zyklonen, hin und wieder einem bösen Tsunami.

Bis ins 20. Jahrhundert hat es sich für die heute etwa 270.000 Insulaner immer gelohnt, sich gegen die Unbilden des Ozeans und des Himmels darüber zu behaupten. Seit 1980 haben sie dazu die koloniale Gängelung abgeschüttelt und sich dabei gewiss eine gelingende Zukunft vorgestellt. Der Tourismus sollte zusätzlichen Wohlstand bringen. Wer mit den Stichworten „Vanuatu“ und „Klima“ ins Internet hüpft, bekommt deshalb erst einmal nützliche Informationen über das wohligste Reisewetter.

In Wahrheit stand Vanuatu aber schon vor dem 14. März 2015 auf Platz 1 der Risiko-Rangliste „Klimawandel“. Nach dem Urteil der Fachleute also ein „Failed State“, ein gescheiterter Staat der anderen Art. Nicht zerbrochenen an unlösbaren inneren Konflikten und schändlichem Fehlverhalten seiner Elite, wie es der Begriff üblicherweise vermittelt. Vanuatu und eine Reihe anderer pazifischer Inselrepubliken sind im Begriff zu scheitern, weil die in Sachen Klimawandel begriffsstutzige Menschheit sie scheitern lässt.

Diese wenigen Millionen – Millionen immerhin – zählen nicht mehr, wenn Milliarden von den Glücksbotschaften der käuflichen Dinge hypnotisiert sind, Hypnotiseure und Hypnotisierte gleichermaßen. Aber mit jedem „Ave Maria“ der Werbung, mit jeder Rosenkranz-Litanei für das Wirtschaftswachstum, mit jedem Lifestyle-Schnickschnack, der angeblich sein muss, kumulieren die messbaren Werte, die über dem Pazifik das brüllende Unheil zusammen brauen. Die Vanuatu benachbarte australische Industriegesellschaft mit ihrer derzeitigen irren Kohleexportpolitik ist nur näher dran; nicht etwa schuldiger als der Rest der Schnäppchen-Menschheit. Die Regionen, in denen das irdische Klima zerkocht wird, liegen oberhalb aller irdischen Grenzlinien. Jede von Menschen veranstaltete CO2-Orgie, wo auch immer, geht in die Bilanz ein.

Dass australische Militärmaschinen jetzt erst einmal Trinkwasser über tausende von Kilometern heran fliegen müssen, ist Tatsache und Gleichnis zugleich. Die vom entfesselten Ozean unbrauchbar gemachten Trinkwasserquellen auf den Inseln von Vanuatu sind die Lebensgrundlage schlechthin, seit sich die ersten frühgeschichtlichen Seenomaden auf neu entdeckten Inseln niederließen. Eine schreckliche Vorstellung, dass Menschen auf abgelegenen Inseln mitten im größten irdischen Ozean verdursten könnten, weil Klimawandelfolgen ihr Wasser ungenießbar machen.

Zyklon „Pam“ wird in die meteorologischen Archive eingehen. Demnächst wird es ein paar Bildsequenzen von irgend welchen Wiederaufbauarbeiten geben. Vielleicht ist sogar die Wiedereröffnung einer Tourismusanlage darunter.

Aber wir werden auf „Pam“ zurückkommen, zurück kommen müssen. Dann, wenn die Liste schrecklicher Erfahrungen noch um einiges länger geworden ist. Wenn sich endlich ein weltumspannender Konsens zu bilden beginnt, dass die Menschheit mit ihrem Russisch-Klima-Roulett nicht weiterleben kann. Ich hoffe darauf, dass die christlichen Kirchen auf den Inseln von Vanuatu, die Sprecherinnen für einen großen Teil der Menschen dort sein können, Worte finden werden, die diese Zeit des Begreifens verkürzen.

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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