Verfolgte Christen? Lösung: Kirchen zumachen?

 

Hundert Millionen, eine Zahl, die wachrütteln soll. Aufgerundet, abgerundet, wer will das beurteilen? Hundert Millionen verfolgte Christinnen und Christen soll es derzeit auf Erden geben. Verfolgt von Regimen oder feindlich gesonnenen Religionsführern samt ihren Anhängern – oder einer unheiligen Allianz aus beiden. Christen seien die am häufigsten verfolgte Gruppe von Gläubigen unserer Tage, schlussfolgert die Organisation „Open Doors“, die die Situation seit langem beobachtet.

 

Hundert Millionen, eine Zahl, die wachrüttelt. Egal, weshalb hundert Millionen Mitmenschen tyrannisiert werden: ihrer Hautfarbe wegen, wegen ihrer sexuellen Orientierung, wegen ihrer sog, Kastenlosigkeit oder eben wegen ihrer Religion: immer ist das ein Skandal, ein Unrecht, in der Folge allzu oft ein unverblümtes Verbrechen.

 

Aber hundert Millionen verfolgte Christen, vom verrückten Nordkorea, über das obskure Somalia, das kochende Ägypten, das blutende Syrien, das gewalttätige Nigeria, bis zu einer langen Liste von Moslemstaaten, deren Namen man kaum auf die Reihe kriegt?

 

Ich hege den schlimmen Verdacht, dass solche Nachrichten eine satte Mehrheit meiner Landsleute ziemlich kalt lassen werden. Dem, was Herzenssache ist am christlichen Glauben längst entwachsen, zu immer größeren Zahlen ehrlicher weise aus den Kirchen ausgetreten, haben sie die Lösung des Problems schnell bei der Hand. Sollen diese christlichen Sturköppe doch einfach ihre Kirchen zumachen! Dann ist Ruhe. Eine Welt, in der sich jeder sein eigenes Lebensglück zusammen bastelt, ist ihnen allemal lieber. Außerdem, was heute hier und da christliche Minderheiten trifft, dass haben ihre Vorfahren denen, die sie Heiden nannten, im Übermaß angetan. Taufe oder Tod, war die Parole seit Karl dem Großen. Einschlägige „Das- habt-ihr-nun-davon“-Belehrungen traue ich auch jener Tageszeitung zu, für die ich aus Wertschätzung bezahle.

 

Nein, das christliche Abendland, ganz gewiss aber das „christliche“ Deutschland wird nicht aufstehen wie ein Mann und Menschenrechte und Religionsfreiheit für Dritte-Welt-Christen verlangen. Eine Portion Islamschelte, sicherlich. Aber im Mund deutscher Politiker dient so etwas oft eher dazu, geistig die Grenzen dicht zu machen, als Verfolgte um ihrer selbst willen in Schutz zu nehmen.

 

Selbst Menschenrechtsaktivisten verlieren einiges von ihrem Schwung, wenn es gilt, Menschen frei zu bekommen, die einfach nur im falschen Land ihre Bibel aufgeschlagen haben. Nach ein paar Jahrzehnten Menschenrechtsarbeit bekommt man ein Gespür für solch feine Unterschiede in der Motivation.

 

Nein, wenn glaubwürdige Nachrichten über Gewalttaten an Christen, weil sie Christen sind, bekannt werden, dann nimmt uns, der christlichen Minderheit im Land, niemand die Verantwortung und die Arbeit ab. Wer, wenn nicht wir, müssen dann der Öffentlichkeit, den Meinungsmachern, der Menschenrechts-Community die Tatsachen und ihre menschenrechtliche Relevanz vermitteln. In unseren Kirchen ist noch genug Vergleichserfahrung lebendig. Sie lebt im Gedächtnis real existierender Christenmenschen, die mit den Zumutungen zweier Diktaturen innerhalb zweier Generationen umgehen mussten.

 

Wir müssten imstande sein, z. B. Worte dafür zu finden, wie einer Gottesdienstgemeinde zumute sein muss, die sich in ihrer Kirche plötzlich von einem aufgehetzten Mob einschlossen und mit Molotow-Cocktails beworfen sieht.

 

Auch in der ganz und gar nicht heroischen Geschichte unserer Kirchen während des Faschismus finden sich Praktiken, die Namen der Gefangenen und Verschwundenen wenigstens im Gottesdienst zu nennen – damals unter höchstem Risiko für die, die es wagten. Heute wäre das eine sehr bescheidene, aber doch zeichenhafte Einübung in Menschenrechts-Solidarität unter Christenmenschen. Über einige Zeit praktiziert, würde es sich herumsprechen, so wahr die Mediengesellschaft funktioniert.

 

Wir haben zwar Parteien die Regierungsgewalt übertragen, die aus historischen Gründen das „C“ im Namen tragen. Ein grober Etikettenschwindel, wie wir längst wissen müssten. Aber wenn es wirklich um das Eingemachte unseres Glaubens geht, dann sind wir selber dran und niemand sonst. Und dazu gehört, dass unserem Menschenrechtsengagement nicht ausgerechnet dann die Luft ausgeht, wenn unsere Glaubensgeschwister auf den Beistand warten, den wir Opfern mit anderem Hintergrund bereitwillig leisten.

 

Das gilt auch dann noch, wenn es demnächst wieder darum geht, Gewalttaten anzuklagen, bei denen Christen zu Tätern gemacht werden. Gott sei es geklagt!

 

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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