Dies Jahr hatte der Osterhase Verspätung. Nicht nur beim Vertrieb, auch in seiner Werkstatt kann es nicht zum Besten stehen. Denn der Karton mit den sechs Eiern ist erst am Dienstag nach dem Fest bei mir eingetroffen. Außerdem war die Leibesfrucht der Hühner weder gekocht, noch österlich gefärbt. Einfach so, wie aus dem Nest genommen, hat meine Frau sie mir überreicht.
Und doch habe ich mich über diese verspäteten Ostereier gefreut, wie schon lange Jahre nicht mehr. Klar, dass wir dem Osterhasen seit Jahr und Tag für sein Festival nur Bio-Eier zur Verfügung stellen, seit man auf diese Unterscheidung wert legen muss. Das war nicht immer so. Schließlich bin ich noch zu Zeiten aufgewachsen, als der Hahn die frei laufende Hühnertruppe betreute, auf westfälischen Bauernhöfen der Nachkriegszeit. Als Erwachsener musste ich erst lernen, was für eine Tierquälanstalt die industriellen Hühner-Batterien und Massenställe sind. So wurde Bio schon vor Jahrzehnten zum Muss. Da traf es sich, dass wir am Stadtrand unsre eigene kleine Herde samt Hahn halten konnten. Die Nachbarn haben das Krähen unter ihrem Schlafzimmerfenster jahrelang mit Engelsgeduld toleriert.
So sind Bio-Eier für uns normal, so lange wir zurück denken können. Mein kribbeliges Schnäppchen-Gefühl bei den verspäteten Ostereiern 2015 wird nicht vom vertrauen Bioland-Siegel ausgelöst, sondern von dem Aufdruck „Hahn-Henne-Ei“. Das Layout auf dem Eierkarton zeigt eine stattliche braune Henne unklarer Rasse samt dem ihr in den Schnabel gelegten Statement. „Chance auf ein Leben für einen Legehennen-Bruder.“ Da habe ich also etwas Handfestes zu den aktuellen Forderungen nach dem Ende der routinemäßigen Tötung aller männlicher Küken in den industriellen Brütereien in Händen. Schreddern oder Vergasen sind die Methoden der Wahl. Die Rührei- oder Kuchenesser sollen von diesen widerlichen profitorientierten Verfahren möglichst wenig mitbekommen.
Das Dilemma ist bekannt: die Turbo-Legehühner haben Brüder, – Männlein und Weiblein etwa 50:50, wie bei uns – die sich aus Gründen der Zuchtwahl nicht als Schlachtgeflügel eignen. Wer also die männlichen Küken eine Hühner-Kindheit lang leben lassen will, muss ihre Aufzucht betriebswirtschaftlich vertretbar machen. Ob konventionell oder bio, macht keinen Unterschied.
Bisher hatte nur gelesen, was Umweltverbände und Züchter da so alles versuchen. Vom Sulmtaler Huhn aus Tirol, einem klassischen Zweinutzungshuhn, war da die Rede. Das Sulmtaler war als Kapaun, also kastrierter Masthahn, dem Vernehmen nach schon bei der Krönung Napoleons I Teil des Festmenus. Vor dem Zeitalter der Profitmaximierung bei gleichzeitigen Verbraucher-Dumpingpreisen waren allerdings die meisten Hähne auch als Schlachtgefügel von Nutzen. Die Praktiker, die der schändlichen Kükenvernichtung ein Ende machen wollen, experimentieren auch mit Zuchtlinien, die keine berühmten Traditionsnamen tragen, sondern irgend welche Kennzahlen. Auf das Ergebnis kommt es an. Auf ein alltagstaugliches Angebot, das uns VerbraucherInnen vor eine echte Wahl stellt.
Ob meine ersten sechs „Hahn-Henne-Eier“ diesen betriebswirtschaftlichen Praxistest schon bestehen werden, vermag ich als Laie nicht zu beurteilen. Aber etwas geht meistens, wenn wir ernsthaft von Wegen der Unvernunft und der Unmoral umkehren wollen.
Und auch das noch: den Aufpreis für mein Hahn-Henne-Ei gegenüber normalen Bio-Eiern finde ich hinnehmbar. Zwei Eier pro Woche zu je 38 Cent kann und will ich mir wohl leisten. Mehr wäre sowieso nicht gesundheitsförderlich.