Um meine Gesundheit besorgt, muss ich wieder einmal eine neue Abkürzung lernen: MERS. Sie erspart mir das Auswendiglernen der englischen Langfassung „Middle East Respiratory Syndrome“. Mittlerer Osten, das heißt in diesem Fall Saudi-Arabien, wo das Virus, Auslöser für lebensgefährliche Atemwegserkrankungen und Nierenversagen, vor drei Jahren dingfest gemacht worden ist.
Und keine Flughafen-Security kann ein Virus, wenn es seinen menschlichen Wirt gefunden hat, von einer verhängnisvollen Weltreise abhalten. Ein Dutzend Opfer und einige hundert Infizierte im fernen Südkorea sind jetzt Grund genug, uns über die Krankenstatistik auf der anderen Seite des Globus täglich auf dem Laufenden zu halten. Schließlich hat auch Ebola mit dem Patienten Eins angefangen. Die nicht rechtzeitig einzudämmende Virus-Pandemie ist und bleibt der Albtraum von Medizinern und Gesundheitspolitikern der Gegenwart.
Wir können nur mutmaßen, wie viele Viren in der Geschichte der Menschheit die Artgrenze zwischen ihren ursprünglichen Wirten und unserem Organismus übersprungen haben. Sie haben in kleinen, überschaubaren Gemeinschaften gewütet und sind spätestens mit ihren letzten bedauernswerten Opfern wieder aus der Geschichte verschwunden. Ihre Namen, ihre Wirkungsweisen stehen in keinem Geschichtsbuch.
Heute, da wir global mobil leben wollen, zum Teil auch müssen, gehört den Viren die Welt. Wir können sie ihnen nicht länger verwehren. Dieser MERS-Typ, mit allergrößter Wahrscheinlichkeit vom Wüstenschiff, dem Dromedar, via Milch und Fleisch auf arabische Mitmenschen übergesprungen, macht sich planlos, aber unerbittlich auf den Weg. Schließlich boomt die Ölwirtschaft. Außerdem bringt der fromme Massentourismus nach Mekka jedes Jahr ungezählte Pilger an die Imbissstände dieses heiligen Landes.
Was tun? Alle Kamel-Spezialitäten bei Strafandrohung von den orientalischen Speisekarten streichen? Oder gleich alle Kamele zwischen Kairo und Dschidda notschlachten? Gemäß dem Rezept, das wir bei Vogelgrippe-Alarm in unseren Massengeflügelhaltungen anwenden? Schließlich haben die Saudis ja Benzin genug, um auf deutsche Autos umzusteigen. Das entspräche auch der verrückten Idee in den Frühzeiten von Aids, in den Wäldern am Kongo das große Affenschlachten zu organisieren. Mit dem Palmenflughund, Eidolon spec., der zu Millionen über Afrika seiner angestammten Wege zieht und das Ebola-Virus mit sich tragen kann, ist das komplizierter. Ihrer sind einfach zu viele. Und die Versuchung, auf dem Buschfleischmarkt einen preiswerten Flughund mitzunehmen, ist für arme Schlucker zu groß.
Die Lösung unserer tierquälerischen Massentierhaltung, bei drohender Virusübertragung einfach alle Risiko-Kreaturen wegzuschaffen, wird im Kampf gegen aktuelle und künftige Viren nichts fruchten. Viren sind weder Pflanzen noch Tiere, sondern Lebensformen eigener Art. Seit jeher können sie manchmal ihre Wirte über Artgrenzen hinweg wechseln. Sie werden das auch künftig tun, ohne Absicht, aber tatsächlich. Die verzweifelte Idee, in solchen Fällen einfach die ursprünglichen Wirte vorsorglich auszurotten, könnte es bald recht einsam um uns werden lassen.
Wie also leben mit solchen Viren, die das Zeug zu einer Pandemie hätten? Abgesehen von der professionellen Sorgfalt der globalen Gesundheitsdienste fällt mir da wenig ein. Sieben Milliarden Menschen können nicht mehr mit natürlichen Sicherheitsabständen zueinander leben, wie das frühere Generationen konnten. Wenn auch nur jeder dritte Erdenbürger im 21. Jahrhundert an unseren interkontinentalen Luftsprüngen teilnehmen will oder teilnehmen muss, wird jedes dieser willenlosen winzigen Ungeheuer seinen Transporteur finden. Welche Abkürzung ein Pandemie-Virus eines furchtbaren Tages tragen wird, wird dann den Schlagzeilen zu entnehmen sein.