Fastenaktion 2013, 26. Februar
In den Bauernhaushalten meiner Kindheit als Dorfjunge nach dem Zweiten Weltkrieg war er allgegenwärtig: der Schweineeimer. Darin, landete alles, was beim Kochen oder nach den Mahlzeiten übrig blieb. Schweine sind ja von Hause aus Nahrungs-Opportunisten und fressen fast alles, was ihnen unter den Rüssel kommt.
Später, in den 50er Jahren, habe ich oft gesehen, wie ein Bauer mit Pferdewagen am Hintereingang des Heimes hielt, in dem ich untergebracht war. Was am Ende der Woche nicht an uns Jungen verfüttert war, kam in seine zerbeulten ehemaligen Milchkannen. Ob er für die Küchenreste etwas zahlte, weiß ich nicht.
Grundlage für Schweineeimer und Abholservice war zunächst einmal die begrenzte Anzahl der Tiere. Auch Vollerwerbsbetriebe hatten damals oft nur eine Handvoll Säue im Koben; dafür freilich eine ganze Menge unterschiedlicher sich ergänzender Betriebszweige. Diversifizierung nennt man das heute, und findet es „bio“. Zum anderen gab es keine Verordnungen, die den Weg von der Menschenküche in den Schweinetrog blockiert hätten.
Die Schlachttage auf den Höfen waren blutig, ohne Frage, aber selten. Wir Jungen haben sie gespannt und kenntnisreich verfolgt. Hinterher gab es typische Schlachttagsgerichte, auch unter Verwendung von Schlachtkörperteilen, die heute in keiner Fleischtheke mehr auftauchen.
Die Komplettverwertung vergleichsweise weniger Tiere war eine Herausforderung für die Mütter und die anderen Herrinnen des Herdes. Sie konnten ja nicht einfach Tag für Tag zu einem von ihren Essern mit Beifall begrüßten Stück Lieblingsfleisch greifen. Sie mussten das ganze Tier nach und nach verwerten. An der Mehrzahl der Tage ging es fleischlos zu – nur, dass das keiner besonderen Erwähnung wert war. Wo wir heute mit viel Tam-Tam eine „Veggie-Tag“ ausrufen würden, kamen halt ohne Aufhebens Apfelpfannkuchen, Milchreis mit Zimt und Zucker oder Brotsuppe mit Rosinen drin auf den Tisch.
Diese Erfahrungen und Erinnerungen haben Platz in der durchschnittlichen Lebensspanne eines männlichen Deutschen von heute. Ein paar Millionen noch lebender Generationsgenossen haben Ähnliches erlebt. Warum soll ich also nicht riskieren, mich mit der Erinnerung an die Schweineeimer auf diversifizierten Bauernhöfen in den Streit um den Industriefleisch-Irrsinn einzumischen?
Dieser Irrsinn hat ja wirklich System. Wenn ich mich an Bauer Hullermanns Schlachtschwein auf dem Holzgerüst erinnere, dann ist das statistisch ungefähr die Schweinefleischmenge, die meine Frau und ich im Jahr 2013 schlucken werden. Vernünftiger weise tun wir das nicht. Aber was nicht durch unseren Magen geht, schieben andere Landsleute zusätzlich in sich hinein.
Neben unserem Schwein stehen unsichtbar mindestens zwei 25-Kilo-Säcke mit Soja-Schrot, Eiweißkraftfutter-Anteil unseres Turboschweins, gentechnisch verändertes Zeugs, aus dem einschlägig führenden Hause Monsanto, produziert auf der anderen Seite des Atlantik in Brasilien oder Argentinien. Im Supermarkt sind uns gentechnisch veränderte Nahrungsmittel unwillkommen, in Deutschland bislang praktisch unverkäuflich. Was das aber für ein Tierfutter war, das Schnitzel und Bratwurst heranwachsen ließ, ist uns unbegreiflicher weise ziemlich schnuppe!
Erst recht gilt das für den Kahlschlag ganzer Regionen von der Größe Deutschlands für die globale Sojaindustrie. Nie dagewesene Fleischberge, bezahlt mit wenig Geld, aber mit katastrophalen Folgen für Klima, Wälder, Tierwelt, Wasserhaushalt, Mitmenschen. Macht nix, es liegt ja ein tiefer Ozean dazwischen.
Insgesamt, lerne ich, belegt allein die Soja-Einöde, die für Deutschlands Fleischindustrie gebraucht wird, 29.000 qkm. Man stelle sich vor, eines unserer großen Bundesländer, Nordrhein-Westfalen oder Bayern wären ein einziges Sojafeld. Für jeden einzelnen Industriefleisch essenden Bundesbürger brauchte es hinterm Haus 350 qm Soja-Tierfutteracker.
Bauer Hullermann war 1948/49 gewiss kein Bio-Bauer. Aber was seine Schweine fraßen, wurde auf seinem Hof erzeugt. So machen es auch die Bio-Bauern heute. Allerdings erinnere ich mich auch noch an Hullermanns quiekende Rotte, die im Herbst unter den Eichen im Drostebusch ein paar Tage lang Eicheln fressen durfte. Neben dem Inhalt des Schweineeimers ein weiteres Leckerli!
Angesichts des Schweinefleisch-Irrsinns unserer Tage: welches Risiko lohnt sich? Den Leitsatz meiner Oma beherzigen: “Man wird alt wie ´ne Kuh und lernt immer noch dazu“ – und umkehren zu einem Konsum, mit dem Mensch, Tier und Biosphäre leben können?
Oder Zukunftsbewältigung nach Art der drei Affen riskieren: „Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.“?