Unser Gottesdienst am Karfreitag 2012 war Weg und Zeit wert. Auf dem Altar lag die eindrucksvolle Dornenkrone, vor langen Jahren von einem Gärtnermeister aus unserer Gemeinde geflochten, sonst nichts. Vertraute Gesichter, Gemeinschaft stiftende Musik. Eine Predigt, die versuchte, den Kreuzestod Jesu in unsere Zeit zu holen. So war es bei uns. In einer Stadtgemeinde, die noch alles hat, was Kirche vor Ort so an Infrastruktur braucht.
Hinzufügen sollte ich noch: wir waren alle miteinander 22 Christenmenschen. Nein, kein Schreibfehler, nicht 220, sondern 22. Und das weder bei Sauwetter noch in einer Dorfgemeinde, wie die für unsere große Landeskirche typisch ist. Wir leben in einer Landeshauptstadt, sind christliche Mehrheitskonfession. Martin Luther höchstpersönlich hat hier reichlich Duftmarken hinterlassen, die heute noch gern vermarktet werden.
22 Evangelische treffen sich in einer ehemals evangelischen deutschen Großstadt – nicht am x-ten Sonntag nach Trinitatis mitten in der Urlaubszeit – sondern am Karfreitag-Morgen zum Gottesdienst. Am Karfreitag, landläufig der höchste Feiertag der evangelisch-kirchlichen Tradition geheißen; wenn auch nur in unlösbarer Einheit mit dem Ostermorgen. Ohne den wäre der Karfreitag schlecht auszuhalten, wie alle Hinrichtungsfoltern auf Erden. Sein historischer Anlass wäre sicher auch in Vergessenheit geraten.
Heute, in meinen 70er Lebensjahren, erinnere ich mich selbstverständlich noch an den volkskirchlichen Karfreitag meiner Kindheit nach dem Zweiten Weltkrieg. Er war voll bis übervoll mit schwarzen Gottesdiensten und Andachten, in denen sich schwarz gekleidete Menschen drängten. Längst nicht alle Riten und Vorschriften, jawohl Vorschriften, waren für uns Kinder angstfrei mit zu erleben. Erst mit dem Ostereierfärben am Karsamstag-Nachmittag wurde es wieder heller.
Das reichlich halbe Jahrhundert dazwischen ist die Zeit der unumkehrbaren Zerbröselung der halbstaatlichen Volkskirche, Ihrer Bindungskraft und ihrer Talfahrt in der Liga der gesellschaftlichen Kräfte. Im Zeitalter der Quotengläubigkeit: wo 1952 mindestens 220 evangelische Diaspora-Dörfler zum Karfreitagsgottesdienst kamen, waren wir 2012 22 Städter im „Kernland der Reformation“.
Und deshalb glaube ich nicht, dass wir auf einen lohnenden geistlichen Kriegspfad ziehen, wenn wir vor Gerichten, in Parteizentralen, auf Zeitungsseiten und Fernsehschirmen für den Karfreitag ohne „Dirty Dancing“kämpfen. Die 2012 noch so gerade eben mit ihren Eilanträgen gescheiterten Piraten und Gleichgesinnte haben den Trend und das Recht wohl auf ihrer Seite. Wie glaubwürdig agieren wir, wenn wir Nichtchristen – die meisten netten Leute, die ich vor Ort kenne, sind eben solche – ein Freizeitvergnügen verbieten lassen, nur weil der Feiertagsanlass ursprünglich ein christlicher war? Gleichzeitig vermögen wir immer weniger, die Botschaft Jesu im Alltag mit Leben zu erfüllen, siehe oben. Im Clinch ums Tanzvergnügen steht da der Verlierer über kurz oder lang sowieso fest.
Was war der Hinrichtungstag Jesu von Nazareth, damals in Jerusalem, eigentlich für ein Tag? Für einige, nicht allzu viele, war er war wirklich ein Kar-Freitag, althochdeutsch ein Tag der Klage. Für niemanden war er ein „Guter Freitag“, wie Martin Luther und die Englisch sprechende Christenheit ihn nennen. Denn den gibt es nicht ohne die Glaubenserfahrung von Ostern.
Aber für den großen Rest der Leute? Sie haben Parties gefeiert oder gearbeitet; haben sich auf den Sabbat vorbereitet oder krumme Geschäfte gemacht. Sie haben über den Durst getrunken oder ihr Hausdach repariert. Sie waren Hochzeitsgäste, mit Tanz und allem Drum und Dran, oder haben einen Kondolenzbesuch in der Nachbarschaft gemacht. Und viel zu viele haben sich den widerlichen Kick einer öffentlichen Gruppenhinrichtung gegönnt. Unter den Delinquenten Jesus von Nazareth, vor kurzem noch umjubelt, aber jetzt überführter Gotteslästerer.
Wie alle Tage: dieser Tag bedeutete unvereinbar viel für Viele. Und im Leben Jesu war es der Tag, an dem sich erwies, dass er dem Auftrag Gottes treu blieb, bis zum Kreuzestod.
Nur bei Gott kann der Ort sein, wo alles Leben und alle Lebenserfahrung, alle Tage, zusammenfinden, unter den Vorzeichen von Versöhnung und Liebe.
Deshalb hoffe ich, dass wir beim herannahenden Karfreitag 2013 unsere Glaubens- und Geisteskräfte auf das lohnende Ziel ausrichten werden: wie wir mit Worten, Zeichen und Taten den Gott bekennen können, der unsere Welt nie und nimmer verloren gibt.
Wer tanzen will, soll tanzen, ohne dass unsere Kirche ihm indirekt einen Strafbefehl ins Haus schickt.