Zugegeben: Fußball-Weltmeister, das ist kaum zu toppen! Aber was sonst auf der nationalen Erfolgsliste des Jahres 2014 reicht an diese Botschaft heran? VW, der Gesamtkonzern, hat 2014 zum ersten mal mehr als zehn Millionen Autos verkauft, PKWs und Laster. Als erste Autobauer überhaupt haben unsere Leute diese Schallmauer geknackt. Darauf ein Hupkonzert!
Beruhigend zu wissen, dass der Führer bzw. irgend welche Nachfolger das nicht mehr miterleben durften. Ihr in „Volkswagen“ umbenanntes „Kraft durch Freude-Auto“ parkt ja vor unseren Häusern als eines der Symbole dafür, wie mühsam wir uns nach 1945 den braunen Dreck aus den Kleidern bürsten mussten. Aber das ist lange her, so wahr es der „Käfer“, alias Beetle, auch in Ländern der ehemaligen Anti-Hitler-Koalition zum Kultauto gebracht hat.
Ich gehöre zu den Millionen kleiner Leute, die ihre sentimentales Käfergeschichtchen beisteuern können. Meiner, Baujahr um 1963, kostete 1979 zweihundert D-Mark, war an allen neuralgischen Punkten zuverlässig durchgerostet und hat sich bis zur Fahrt auf den Schrottplatz im Dienst unserer Kirche aufgeopfert.
35 Jahre ist das her. Ich nehme mal an, dass die Wolfsburger damals vielleicht ein Viertel ihrer aktuellen Rekordzahlen vom Band rollen ließen. Damals hatten sie ja auch noch nicht diesen Extra-Blumenstrauß an Traditionsmarken zusammengekauft, der heute ihr eigen ist. Nicht nur, wo VW auf der Karosse steht, ist auch VW drin. Aber das kennt der Weltmarkt-Shopper ja von vielen seiner Einkaufstouren.
Der deutsche Bauch indes fühlt sich natürlich am schönsten gepinselt, wenn die Heilsbotschaft von der urdeutschen Konzernmutter kommt: 10,14 Millionen Verbrennungsmotor-getriebene Vierräder, vertickt in einem einzigen Jahr. Das soll uns erst einmal jemand nachmachen! Hurra, Hurra, Hurra! Und jetzt bitte nicht weiter nachdenken – höchstens darüber, wie schön sichere Arbeitsplätze sind!
Denn würde ich nachdenken, dann kämen mir schon ein paar störende Bilder in den Sinn: die morgendliche Kolonne unserer Werktätigen, auf dem Weg aus unserem Großdorf in die 10 km entfernte Stadt. Vom Radweg aus sehe ich in den allermeisten Benzinkutschen drei freie Plätze. Sonntags, auf dem Weg zum Brötchenbäcker, sind die Wege für die meisten Solisten am Steuer sehr viel kürzer, ein Kilometer, wenn´s hoch kommt. Am Wochenende folgt der Fahrstil bei nicht wenigen dem Motto „Wehe, wenn sie losgelassen!“. Blitzlichter zum dem heißen Thema schlechthin: das für jeden Zweck und auch für jeden Unfug verfügbare Privatauto als – ja, als was? – als quasi Menschenrecht und zugleich als verkehrspolitischer und ökologischer Dinosaurier.
VW kann seinen Weltrekord aber nur aufstellen, weil es diesen überholten Lebensentwurf, diese trügerische technische Glückspille, millionenfach exportiert. Der heimische Markt ist viel zu winzig. Ein halbes Jahrzehnt, und VW hätte rein rechnerisch jedes deutsche Auto durch ein neues ersetzt. Aber in mir kommt kein rechter Nationalstolz auf, wenn ich mir drei Milliönchen VWs in Chinas Smog-verdunkelten Megacity-Straßen vorstelle.
Aber, erinnere ich mich, wir machen´s ja Öko! Wir heben uns ein größeres Fäßchen vom verbliebenen Erdöl für Düngerproduktion und andere tolle Produkte auf und kippen unseren VWs bzw. der Konkurrenz einen Mix mit 10% Biosprit in den Tank. Kaum eine Umwelt- oder Eine Welt-Organisation in Deutschland, die inzwischen nicht gegen diese verkehrspolitische Schnapsidee mobil macht. „Tank oder Teller“ ist längst zu einer alltäglichen Schicksalsfrage für Abermillionen geworden. Nur leben diese Zeitgenossen weit genug entfernt, dass sie uns kümmern müssten.
Wenn wir dann demnächst fracken, können wir den Durst unserer VWs hoffentlich wieder mit unverdünntem Erdsaft stillen. Soll ja jede Menge da sein! Und der Blick auf die Preisschilder an den Tanken lädt ja jetzt schon ein, endlich mal wieder bis zum Anschlag durchzutreten.
Muss ich mir wirklich an den Fingern abzählen, wieviel Unbekannte in dieser Milchmädchenrechnung stecken? Wie belanglos die Zahlen dieser oder jener Börsenwoche sind, verglichen mit den stabilen Kursverlusten einer Menschheit, die notorisch über ihre Verhältnisse lebt? Die sich dabei an eine Handvoll von Glücksbringern klammert, wie das Privatauto, diese Freiheitsstatue auf vier Rädern; von den einen verhätschelt; von den anderen erträumt; von den allermeisten niemals besessen.
Sie sind nicht dumm bei VW und in den anderen Auto-Kommandozentralen. Ich denke, sie werden so gar kluge Leute dafür bezahlen, jede Schwachstelle des Auto-basierten Lebensglückes zu bedenken. Wie stellt man sich also in Wolfsburg die Erfolgsbilanz des Geschäftsjahres 2050 vor?