Ein Weltbild trägt jeder Erwachsene mit sich herum. Fragt sich nur, wie viel reale Welt in diesen Weltbildern enthalten ist, die schließlich Einstellungen, Urteile, Verhaltensweisen prägen und rechtfertigen. Wie schnell ein Weltbild, mein Weltbild, zusammen schnurren kann, daran erinnert mich eine ziemlich schlichte Broschüre, die ich so drei-, viermal im Jahr aus meinem Briefkasten fischen darf.
DIN A4, schwarz-weiß, eng bedruckt, ohne einen einzigen Farbklecks, kein einziges Foto; eine von Büroklammern zusammen gehaltene „Bleiwüste“ auf zeitgemäßem Recyclingpapier. Ein hoffnungsloser Fall, selbst für den Zeitschriftenmarkt der Eine-Welt-Szene. Mindestens das farbige Cover ist auch dort seit Jahr und Tag ein Muss.
Gott sei Dank bin ich lange genug dabei, um mich zu erinnern, dass wir fast alle als Publizierende einmal so angefangen haben. Generationen von Eine-Welt-Arbeitern und MenschenrechtlerInnen haben vor 40, 30 Jahren solche Arbeitshefte geschrieben und gelesen. Wichtige Ideen, Kampagnen und Methoden der Solidaritätsarbeit sind so auf die Beine und unters Volk gekommen.
„Pazifik aktuell – Nachrichten aus Papua-Neuguinea und den anderen Inselstaaten“ ist nach reiflicher Überlegung auch nach 25 Jahren weiter bei dieser do-it-yourself-Publizistik geblieben. Anderenfalls müsste man künftig Rechnungen schreiben und könnte sich nicht mit mehr der Förderung durch einige Missionswerke begnügen.
Ob ich auf meine alten Tage noch zum Abo schreiten würde, weiß ich nicht. Man will sich ja kleiner setzen. Andererseits ist da die Sache mit dem Weltbild. Mit Papua-Neuguinea, der unabhängigen Hälfte der Rieseninsel Neu-Guinea beginnt ja ostwärts die ungefähre Hälfte des Globus, die uns im Regelfall im Weltbild fehlt.
Ozeanien, der Pazifik bis an die Küsten beider Amerikas. Wasser, Wasser, aber eben nicht nur Wasser. Sondern Inselstaaten noch und noch, vom Flächengiganten Papua-Neuguinea über Nationen von der Größe stattlicher Bundesländer bis zu den Nationen, die uns wie Streusand im Meer vorkommen, deren Namen wir entweder von Atombombenversuchen oder aus Urlaubskatalogen und Kreuzworträtsellösungen kennen. Wer es mit der Zeitgeschichte hat, kann aber auch das „Inselspringen“ der Amerikaner im Zweiten Weltkrieg nachspielen. Da verflüchtigt sich dann die Romantik ziemlich schnell.
Ich weiß nicht mehr, wie ich einst auf den Verteiler von „Pazifik aktuell“ geraten bin. Aber dieser knappe, sachliche Informationsdienst hat mir beigebracht, dass es die eine Insel, geschweige denn die Inseln der Seligen auf dem Blauen Planeten nicht gibt. Dass auch da, wo die Erde von hoch oben betrachtet wirklich blau aussieht, dieselben Übergriffe von Mammon, Rechtsbeugung und Gewalt an der Tagesordnung sind, wie in den Ballungszentren der Menschheit. Der mehrmalige Blick per annum in die pazifische Weite bestätigt wahrhaft ernüchternd, dass wir uns schon um diese Erde kümmern müssen, weil wir keine bessere Hälfte in der Hinterhand haben.
Eher im Gegenteil! Das meint wohl die kleine Änderung im schwarz-weißen Layout des Nachrichtendienstes anlässlich der 100. Ausgabe: der pazifische Lebensbaum oben auf Seite 1, die Kokospalme, steht mit ihren Wurzeln schon bedrohlich tief im Salzwasser. In der Ferne türmen sich Monsterwellen auf. Es muss nicht gleich ein Tsunami sein. Normale Unwetter in Kombination mit steigendem Meeresspiegel reichen, um die Zukunft etlicher Inselnationen äußerst ungewiss zu machen.
Als wären da nicht schon die politischen Konflikte, die ausreichen, unseren Zeitgenossen dort das Leben schwer zu machen. Beliebig heraus gegriffen aus „Pazifik aktuell Nr 100“: UNO-Soldaten von den Fidschi-Inseln als Gefangene islamistischer Terroristen in Syrien; hermetische Isolierung von Abschiebe-Flüchtlingen durch Australien auf dem Inselstaat Nauru; extreme Suizidraten von ozeanischen Jugendlichen, die mit ihrer Perspektivlosigkeit nicht zurecht kommen; Benutzung von Smartphones für die Verabredungen zu traditionellen Stammeskämpfen in Regionen Papua-Neuguineas; dabei eine dramatische Erhöhung der Opferzahlen durch den Gebrauch von Feuerwaffen statt Pfeil und Bogen.
Den schlimmen menschheitstypischen Nachrichten stehen Mutmachernachrichten gegenüber: Einzelne und Gruppen verlangen und tun, was recht ist, was Versöhnung schafft, was Hoffnung weckt. Das Netzwerk für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung wird unablässig weiter geknüpft, auch auf der anderen Seite des Globus.
Pazifik, friedlicher Ozean, für die europäischen Kapitäne der frühen Neuzeit war der Name zunächst Niederschlag ihrer meteorologischen Beobachtungen und seemännisches Wunschdenken. Für viele Menschen von Papua-Neuguinea bis Neuseeland ist er eine Vision von Menschlichkeit und Zukunftsfähigkeit.
Mein Weltbild um dieses Wissen erweitern zu können, verdanke ich der Feierabendredaktion von „Pazifik aktuell“.