Wortspiel mit Minen

 

Die Szene klebt im Gedächtnis wie eine Klette: Ein Mann läuft mit dem Rücken zur Kamera im knöcheltiefen Hochwasser auf einer überschwemmten Straße, irgendwo auf dem Balkan in den ehemaligen Kriegsgebieten der letzten Jahrzehnte. Und die Stimme des Redakteurs, der die Bilder für unser Fernsehen bearbeitet hat, versucht allen Ernstes, den Mann zu warnen: besser, du läufst hier nicht entlang! Du kannst unverhofft auf eine los geschwemmte Mine aus Kriegstagen treten. Von den mehr als hunderttausend Teufelseiern sei ein großer Teil noch nicht geräumt worden, werden wir Zuschauer erinnert.

Augenblicklich macht es Klick! Das war offensichtlich ein Ausrutscher in der professionell distanzierten Berichterstattung über eine Naturkatastrophe im Mai 2014 – samt ihren kriegerischen Spätfolgen. Dieser Warnruf, den niemand hören kann außer uns nicht betroffenen Nachrichten-Konsumenten! Ein sprachlicher Ausrutscher, den die verantwortliche Person bewusst durchgewinkt hat, nehme ich mal an. Denn in diesem Massenmedium samt seinen Aufsichtsräten wird eher drei- als zweimal kontrolliert, was über die Sender geht.
Mich durchrieselt eine kleine Welle dankbarer Kumpanei mit den Unbekannten, die hier journalistische Spielräume kreativ genutzt haben, um die vergessenen Landminen auf dem Balkan, stellvertretend für viele weitere verseuchte Regionen, uns Bürgern ein wenig ins gefühlte Leben hinein zu drücken.

Wenn der Boden unter unseren Füßen von uns selbst zum unkalkulierbaren Risiko gemacht worden ist, dann hört selbst für Waffennarren der Spaß auf. Ich erinnere mich sehr lebhaft vieler Aktionen während der Jahre, als wir Bürgerinnen und Bürger für ein völkerrechtliches Verbot der Antipersonen-Minen stritten. Da war es naheliegend, mit Lernspielen auf die Wochenmärkte zu ziehen. Passanten konnten da ausprobieren, wie man sich fühlt, wenn der nächste Schritt einen umbringen oder zum Invaliden machen kann. Es war nur ein Spiel. Aber dafür waren die Reaktionen heftig. Einmal schütteln, wie ein nasser Pudel? Für manchen reichte das nicht. Wir mussten reden!

Das endlich erreichte Antipersonenminen-Abkommen, dem sich freilich die entscheidenden Pappenheimer der Minen-Kriegsführung nicht angeschlossenen haben, hat das Problem aus den Fußgängerzonen wieder zurück verlagert in die Büros der sachkundigen Nichtregierungsorganisationen. Der Friedens-Nobelpreis für die RepräsentantInnen der Anti-Landminenkampagne ist Zeitgeschichte. Die Rüstungsindustrie, auch die der Berliner Republik, bietet für die kriegerischen Ziele des Mineneinsatzes längst neue überaus smarte Systeme an – und dazu eine gereinigte Sprache, die das böse, platte Wort Mine wortschöpferisch umgeht.

Alles bestens, soweit. Wäre da nicht die vermaledeite Langlebigkeit der preiswerten und technisch eher schlichten bösen alten Landminen. Ich erinnere mich der Hochrechnungen, die wir anstellten, um den Regierungen und Minenproduzenten unter die Nase zu reiben, dass es ganze Menschenalter brauchen werde, um Angola, Afghanistan oder Kriegsschauplätze auf dem Balkan und im Mittleren Osten für Bauern und Schulkinder wieder minenfrei zu machen. Das gewaltige Sonderprogramm, das diese Hochrechnungen Lügen gestraft hätte, ist nie gestartet.

Und wir haben es inzwischen mit den Drohnen. Die haben auch dem technisch interessierten Friedensfreund etwas mehr Kitzel zu bieten als die alten Landminen „Made in GDR“ alias DDR, unser spezieller Beitrag zu dem, was heute noch auf Äckern und an Bachufern auf Opfer wartet.

Da kommen die Wortspielereien einer Nachrichtenredaktion über das tödliche Hochwassertreibgut
im alten Balkan-Kriegsgebiet zur rechten Zeit. Danke!

Über Harald Rohr

Ich bin Jahrgang 1940 und lebe als ev. Pfarrer i.R. in Niederndodeleben bei Magdeburg. Mehr über mich
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