Das muss der Republikaner neidlos anerkennen: auch eine Monarchie kann wirkungsmächtige Bilder zustande bringen – jenseits vom royalem Zuckerguss über den Konflikten einer rauen Gesellschaft wie der britischen. Was Queen Elizabeth II, 89 und ihr Prinzgemahl Philipp, 94 bei ihrem Privatbesuch auf dem Gelände des ehemaligen KZ Bergen-Belsen sichtbar, nacherlebbar gemacht haben, hätte kein Präsident mit gleicher Selbstverständlichkeit tun können.
Der Präsident, als Mensch mindestens mittleren Alters für eine bestimmte Zeitspanne in sein Amt gewählt, hätte mehr tun müssen, als einfach nur am Ort zu erscheinen, einfach nur ein paar hundert Meter unbegleitet zu laufen und wenige Worte mit prominenten Überlebenden zu sprechen.
Für das steinalte britische Königspaar war das aber genug. Weil sie schon vor 70 Jahren, als britische Truppen Bergen-Belsen befreiten, zum konstitutionellen Fundament Großbritanniens gehörten – sie als Kronprinzessin und Leutnant der britischen Armee, er als der Öffentlichkeit noch unbekannter, aber bereits ausersehener künftiger Prinzgemahl – konnten sie jetzt ihre eigene Erscheinung nutzen, um Geschichtsbewältigung ins Bild zu setzen.
Alles könnten sie wohl auch mit öffentlichen Worten bezeugen, wenn ihr Amt es ihnen freistellen würde. Aber Zweifel sind ohnehin kaum angebracht. Die jungen Leute Elizabeth und Philipp haben ganz bestimmt den Horror geteilt, der das ganze Volk überfiel, als britische Truppen Bergen-Belsen befreiten und wirklich jedes Detail, das sie vorfanden, mit einmaliger Gründlichkeit filmisch dokumentierten.
Schlagartig war Bergen-Belsen Deutschland. Bergen-Belsen war für die Nachkriegsbriten neben der Notwehr gegen das angreifende Hitlerdeutschland die Vergewisserung, einen gerechten Krieg gekämpft zu haben. Bergen-Belsen war auch die Sperre, die lange Jahre wirksam blieb, bis die Queen 1965 ihren ersten Staatsbesuch in der alten Bundesrepublik machen durfte.
Niemand kann wissen, was die Königin von der sich abzeichnenden deutschen Vereinigung gehalten hat. Aber Bergen-Belsen ist ganz bestimmt auch ein bleibender Horror im Gefühlsleben ihrer Premierministerin und Generationsgenossin Margret Thatcher gewesen, die sich der Vereinigung nach Kräften widersetzt hat.
Bergen-Belsen hat die Königin 1992 nicht vom Besuch in Dresden abgehalten. Das großartige Projekt des britischen Turmkreuzes für die restaurierte Frauenkirche ist bis zur endgültigen Montage auf der Insel nicht nur eine Bürgerinitiative, sondern auch ein Teil der royalen Zeichen-Politik gewesen. Wir dürfen hoffen, das es im Lauf der Jahre nach und nach neben Bergen-Belsen getreten ist – für die Briten mehr noch als für uns. Für uns war Bergen-Belsen ein KZ unter vielen, sofern wir die Hölle als Kinder und Enkel der Tätergeneration überhaupt an uns heran lassen.
Die beiden öffentlichen Alten waren immer ein Teil des Geschehens, 70 Jahre lang, mit ihren Gefühlen, Meinungen, ihren neuen Einsichten und den Vorgaben der wechselnden Regierungen ihrer Majestät. Darum die Eindeutigkeit des Bildes, das sie in wenigen Minuten in Bergen-Belsen schaffen konnten.
Wer Bergen-Belsen für sich zu einer selbstverständlichen Wegstrecke gemacht hat, der darf sich von Hoffnungszeichen wie dem Turmkreuz in Dresden in die Zukunft leiten lassen. So möchte ich die wenigen Fernsehbilder verstehen.