Fastenaktion 2013, 16. März
Noch haben wir die eindeutige Mehrheit im Lande: wir Menschen, die es mehr oder weniger oft nach einem Fleischgericht gelüstet, genauer gesagt, nach einer Mahlzeit mit Fleisch-Anteil. Unser Leben spielt sich ab zwischen Pranger und Schulterklopfen. Immer mehr meiner jungen Geschlechtsgenossen bekommen ein Problem mit der netten Frau, auf die sie es ernsthaft abgesehen haben. Schon der Stopp an der Currywurst-Bude kann so manchen Annäherungsversuch unverhofft scheitern lassen. Sie ist bekennende Vegetarierin. Der Nebel von Bratenfett und Fleischgeruch ist für sie ein heftiger Liebestöter. Ist die Tochter Evas mit ausreichend Selbstbewusstsein gesegnet, wird sie mit dem Kandidaten Klartext reden: über qualvolle Massentierhaltung, Gesundheitsrisiken – und überhaupt, sie hält es für falsch, dass man Tiere schlachtet und isst.
Andererseits gibt die Fleischindustrie jede Menge Geld dafür aus, Fleisch als Lifestyle-Produkt und Hort der Gesundheit zu propagieren. Zum Kampf um den Fleischesser gehören aber auch wahre TV-Horrorshows um klodeckel-große Schweineschnitzel und menschliche Fressmaschinen.
Darüber fühle ich mich selbstverständlich hoch erhaben. Ein bisschen Wissen, gesundheitliche Warndreiecke, ein paar Erinnerungen an den Familienesstisch meiner Kindheit und die Stimme meiner Weggefährtin sind Hilfen, die mich vor den größten Torheiten bewahren. Trotzdem bin ich froh, dass ich nicht als hinduistischer Brahmane auf die Welt gekommen bin. In diesem Fall würden meine Götter mich zu lebenslänglichem Vegetarismus verpflichten.
Das ist in etwa das Szenario, in dem ich seit gut vier Wochen zurecht kommen muss. Dabei waren das nicht irgendwelche vier Wochen, sondern die gute Hälfte der traditionellen christlichen Fastenzeit vor Ostern. Auf evangelisch heißt sie Passionszeit, aber das tut wenig zur Sache. Der Verzicht auf Fleischgerichte in dieser Zeit ist eine sehr alte Regel, in beiden Kirchen. Sie ist nicht ganz logisch, wenn man an das Fleisch der Fische denkt. Den Bibern hätten die förmlichen Fastengebote sogar um ein Haar den Artentod eingetragen. Weil sie im Wasser leben, war das Fleisch ihres breiten Schwanzes, der Kelle, dem Fisch gleichgestellt.
Die neue Fastenbewegung, die sich auf die Initiative „Sieben Wochen ohne“ stützt, hat mit den überlieferten Fastengeboten weniger im Sinn. Sie ermuntert stattdessen, bestimmte Haltungen des alltäglichen Lebens zu prüfen und schrittweise zu verändern. So heißt es dieses Jahr „Riskier was, Mensch! Sieben Wochen ohne Vorsicht!“
Die Herrin meiner Küche hat sich unterdessen für den traditionellen Weg entschieden. Nach einer – wie ich nach wie vor behaupte – eher flüchtigen Kommunikation, hat sie ab Aschermittwoch den Anteil unserer vegetarischen Gerichte gründlich erhöht, auf hundert Prozent. In Zeiten der überfischten Meere ist sogar der Hering außen vor geblieben, der sonst schon mal samstags zum Zuge kommt, wenn der Fischwagen in unserer dörflichen Einöde halt macht. Was sie so entschlossen macht, hat weniger mit dem Himmel, sondern fast nur mit der Erde zu tun, mit heutigen und künftigen Lebensbedingungen; mit den Programmfehlern, die sich in unserem Verbraucheralltag eingenistet haben. Das sieht nicht nur meine Frau so. Viele tun das inzwischen. Aber sie möchte sich und mir vormachen, dass Alternativen im Alltag ziemlich geräuschlos funktionieren. So bin ich mehr zum Jagen getragen worden, denn als eifriger Jagdhund selber los gerannt.
Was habe ich erlebt? In vier Wochen, das ist immerhin schon soviel Zeit wie ein kompletter Jahresurlaub. Bei Lichte besehen nicht mehr, als eine inzwischen recht lange Liste von Normalitäten, mehrheitlich alte Bekannte. Kartoffelpuffer, Rührei mit Spinat, etliche Eintopf-Variationen, Reis bzw. Nudeln mit gut gewürzten Gemüsesoßen, einige Erinnerungen an unsere Gastaufenthalte bei vegetarisch kochenden Leuten in Indien und Sri Lanka, usw. usw. Keine krampfhaften Veggiekochbuch-Experimente, bei denen dem gleichsam auf Entzug befindlichen Fleischesser schon durch die Wortwahl vorgegaukelt wird, er bekäme jetzt, was er ja eigentlich wolle, nur eben veggie!
Manches war richtig lecker und bleibt auf meiner Wunschliste. Das meiste war normal, wie das Leben. Wenige Male haben haben wir Verbesserungsideen für den Wiederholungsfall diskutiert. Kein Mal gab´s Krach. Es lohnt einfach nicht, länger bei diesen Tischgeschichten zu verweilen. Und auch die letzten zwei Wochen bis Ostern werden wohl mit dieser ruhigen Normalität ihren Lauf nehmen.
Aufgefallen ist uns dagegen schon, dass unsere Ernährungssicherheit um keinen Deut ins Wanken kommt, wenn Fleisch mal eine Zeit lang nicht auf dem Teller liegt.
Nicht fleischloses Essen ist schlimm. Nichts zu essen ist schlimm!